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9. Kapitel: Frafa fliegt zur Sternenklippe

Das neunte Kapitel beginnt im Buch nun mit Frafas Ankunft an der Sternenklippe. Wie bei anderen Gelegenheiten auch hatte ich die Reise ursprünglich ausführlicher beschrieben - und dann wieder gelöscht, weil es ja weder für die Handlung noch für die Figurenentwicklung nennenswert Neues bringt.
  Allerdings, ein wenig über die Gefühlswelt der Figuren erfährt man dabei doch, und auch ein wenig über die Geschichte und die Beschaffenheit des Landes, in dem der Roman spielt - Hintergrundinformationen also, die der ein oder andere Leser möglicherweise interessant findet.

next07Frafa verließ Stadt, und sobald die hohen Häuser hinter ihr zurückblieben und sie frei fliegen konnte, schwenkte sie in südöstliche Richtung ab. Das funkelnde Daugazburg stand lange in ihrem Rücken, wie ein strahlender Mond, der auf den Boden herabgesunken war, und es fiel Frafa schwer, sich von dem Licht abzuwenden und in die dunkle Landschaft dahinter zu gleiten. Aber es war Sommer, die Nacht war lau und voller Gerüche, die ihre Fühler kitzelten und sie ablenkten. Frafa zog ein paar spielerische Kreise über den großen Feldern und den Blütenackern.
  Aber der fruchtbare Streifen Land um die Stadt herum, der von den Bergen her bewässert wurde, endete bald und wich dem trockenen Steppenland mit zähem Buschwerk und hartem Gras. Die Höfe rückten weiter auseinander, die Dörfer und Kleinstädte, die Frafa umflog, waren armselig und kauerten unbeleuchtet in der Dunkelheit. Hunde und Katzen heulten den seltsamen Nachtfalter an, der über sie hinwegzog, und so ging Frafa nach einer Weile jeder Ansiedlung aus dem Weg und hielt sich an die Weiden und das Ödland dazwischen.
  Es war nicht schwer, bei Sonnenaufgang einen Unterschlupf zu finden. Sie hatte unterwegs viele Weiler gesehen, die unbewohnt wirkten, die Reste aufgegebener Siedlungen, von Wind und Wetter zerfressen und von purpurnen Dornenhecken überwuchert. Einsame Scheunen und Ställe fanden sich reichlich, und Frafa wählte einen Bau, der gut erhalten aussah und doch hinreichend verlassen roch.
  Sie landete davor und trat auf Menschenfüßen durch das Tor, das schief in den Angeln hing und dessen Unterkante im Boden eingesunken war. Das Sonnenlicht drang durch die Ritzen, illuminierte einen Heuboden, Trennwände aus grauem Holz und brüchige Bohlen. Staub tanzte in der Luft, wenn Frafa sich bewegte oder ihre Schwingen entfaltete.
  Sollte sie ihre jetzige Gestalt aufgeben? Der Gestaltwandel war anstrengend, aber die Nachtmotte war nur eine Notlösung gewesen und nicht das Richtige für eine lange Reise. Nachdem sie eine Weile dagesessen hatte, auf einem Balken, der ihr Gewicht trug, entschied sie sich. Sie wurde wieder ganz Frafa und gab den Falter frei. Der löste sich aus ihrer Hand, flatterte wild mit den Flügeln und drehte seine verwirrten Kreise zwischen den Sonnenstreifen, bis er oben hinter den Dachbalken verschwand.
  Frafa verbrachte einen unruhigen Tag. Sie dachte nach, meditierte und versuchte, Kraft zu schöpfen, und sie ging aktiver daran, ihre ausgelaugte Essenz wieder zu verweben, sie zehrte von den Kräften des Äthers und nährte die Quellen ihrer Magie. In den letzten Jahren hatte sie so wenige große Zauber gewebt, und davor schon lange nur zur Übung und nie aus Not. Darum hatte sie auch diesmal geglaubt, sie könne sich einfach in der Zeit treiben lassen und warten, bis sie sich von selbst erholte. Es war ein Luxus, aus dem sie nun herausgerissen wurde, ein friedlicher Traum, aus dem sie erwacht war - und tatsächlich fühlte Frafa sich wacher denn je, und mit einem Mal war ihr zumute, als hätte sie allzu lange geschlafen und würde jetzt ihr Leben wieder aufnehmen.
  Der Dienst für Aldungan, die letzten Jahrhunderte - eine Krankheit, die sie ans Bett gefesselt hatte? Eine seltsame Sichtweise. Aber Frafa musste sich eingestehen, dass sie gar nicht mal einen solchen Verlust empfand, wie der Sache angemessen gewesen wäre, nachdem sie doch ihr gesamtes bisheriges Leben hinter sich gelassen hatte.
  Vermutlich - Aldungan oder nicht - war es an der Zeit gewesen, neu anzufangen. Neu anzufangen, oder aufzuhören.
  Sie trat an die Risse, die überall zwischen den Planken in der Wand klafften und einen Blick nach draußen erlaubten. Es war ein sonniger Tag. Die Büsche, die bis an die Scheunenwand brandeten, wiesen einen bräunlichen Ton auf und duckten sich unter der Hitze. Insekten summten träge zwischen den Blättern. Frafa roch das Leben, sie spürte es - zähes, kleines Leben, im Umkreis von Kilometern nichts, das größer war als eine Eidechse.
  Frafa dachte an Litiz und daran, was geschehen war. Wer hatte das oberste Geschoss ihres Hauses gesprengt? Frafa konnte sich nicht vorstellen, dass die Polizei eine solche Bombe gezündet hatte. Aber wer sagte, dass es Polizisten gewesen waren, die sie dort heimgesucht hatten? Nur weil Litiz auf ihren Überwachungstafeln Uniformen gesehen hatte, musste das nichts bedeuten.
  Frafa versuchte, zu trauern, aber es fiel ihr schwer. Zu fern war ihr die Freundin Litiz, zu sehr drängten sich die neuen, unbequemen Gedanken, die Litiz angesprochen hatte, nach vorne. Hatte Litiz selbst ihre Etage in die Luft gehen lassen? Sie hatte ja ungefähr angedeutet, dass ihr Leben keinen rechten Sinn mehr hatte und sie nur noch darauf gewartet hatte, ihre Anliegen mit Frafa zu klären ...
  Aber diese Gedanken, so empfand es Frafa, waren das Gegenteil von Trauer, und zumindest so viel Respekt konnte sie der alten Freundin erweisen, dass sie ihren Geist auf andere Themen richtete.
  Gegen Abend fing Frafa eine Fledermaus, und mit dieser größeren und geschickteren Form kam sie in der nächsten Nacht schneller voran. Sie hätte ihr Ziel am selben Tag erreichen können, wenn sie gewagt hätte, sich bei Tageslicht dort herumzutreiben.
  Stattdessen schlüpfte sie einen weiteren Tag unter, in noch einem einsamen, verlassenen Schuppen auf der Heide, und brach erneut Mal so auf, dass sie am späten Abend, in finsterster Nacht bei der Sternenklippe ankam.
  ...
Die Anlage war verlassen. Vor langer Zeit hatte Aldungan hier ein Forschungszentrum eingerichtet, so viel hatte Frafa mitbekommen. Sie wusste nicht, ob an dem Berg tatsächlich auch ein profaner Abbau von Thaumagel stattgefunden hatte - unmöglich war das nicht, denn nirgendwo sonst kam das Blut der Erde so dicht an die Oberfläche.
  Aber der Ort lag mitten im Nirgendwo, weitab von allen Plätzen, wo Thaumagel gebraucht und verarbeitet wurde. In frühen Jahren mochte das als Vorteil gegolten haben, weil bei Unfällen und Vergiftungen nur einige Arbeiter betroffen waren. Doch irgendwann hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Transport viel riskanter war als der Abbau. Und Thaumagel war überall - man konnte es direkt vor Ort aus großer Tiefe fördern, verarbeiten und versiegeln.
  Vermutlich war die Anlage deshalb aufgegeben worden, obwohl in Zeiten der Union der Bedarf noch gestiegen war. Aufgegeben und schließlich vergessen ... Nicht einmal ein Nachtwächter war zurückgeblieben.

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