Deleted Scenes

4. Kapitel: Frafa fährt heim

Nach ihrer missglückten Bahnfahrt war Frafa erst einmal im Hinterland von Falinga gestrandet. Drei Kapitel später ist sie irgbendwie zuhause - aber die Geschichte ihrer Rückreise hatte ich auch ausführlich geschrieben und erst später aus dem Buch gelöscht.
  Man erfährt im Folgenden ein wenig von den Weiten des Landes und von der Stadt Daugazburg. Und über Frafa und ihr Leben. Ein paar einzelne Details dieser gelöschten Szene habe ich später im Buch noch untergebracht. Doch wer an Hintergründen interessiert ist, erfährt hier mehr.

next07Nach dem Zwischenfall am Zug brauchte Frafa zwei Tage, um Daugazburg zu erreichen. Der Schienenweg war unterbrochen, die Verwüstung großflächig. Es würde eine Weile dauern, die Schäden auszubessern. Womöglich konnte man den Verkehr über die Außenlinie leiten, oder man würde die Lücke mit einem Pendeldienst schließen, bis die Züge wieder fahren konnten.
  Aber all diese Möglichkeiten nutzen den Fahrgästen, die tief im Hinterland gestrandet waren, wenig. Nach und nach kehrten einige zum Zug zurück. Andere hielten ängstlich Abstand und warteten lieber draußen - Frafa sah und spürte sie einen halben Kilometer entfernt, wo sich eine Straße befand. Das Personal pendelte, verteilte kostenlos Speisen und Getränke und verbreitete nach einer Weile die Kunde, das Busse unterwegs waren, um die Fahrgäste abzuholen.
  Als das Fahrzeug für die erste Klasse kam, stieg Frafa in der ersten Ortschaft wieder aus. Der Bitaner saß zwei Reihen hinter ihr, und die erste Klasse war so leer, dass schon die gemeinsame Fahrt im Bus ein ungewolltes Gefühl von intimer Nähe vermittelte. Frafa stellte fest, dass sie es einfach nicht ertrug, denselben Raum mit einem Menschen zu teilen, der an Körper und Geist nichts als Krankheit ausdünstete.
  So stand sie in einem jener verschlafenen Dörfer auf der endlosen Ebene, deren Abstieg mit der Dürre zum Ende von Frafas eigener Herrschaft begonnen hatte, und nun, mit der Agrarpolitik der Union, in sein letztes Stadium trat. Frafas Anteil an dieser Geschichte lag zum Glück weit genug zurück, dass ihr in diesem Ort keine Feindschaft mehr entgegenschlug. Dafür war der letzte Mietwagenfahrer, der mit seinem klapprigen Selbstfahrer an diesem Ort die Stellung hielt, obwohl die meisten Jungen fortgezogen waren und die Hälfte der Häuser leer standen, außer sich vor Freude, als man ihn für eine Fahrt bis nach Daugazburg anheuerte.
  Die Fahrt dauerte lange, mit mehreren Reparaturen unterwegs, die der Fahrer selbst durchführen konnte. Als er müde wurde, übernahm Frafa das Steuer. Es war ein empfindliches Gerät, aus einer anderen Epoche, und der Besitzer ließ die fremde Nachtalbe nur ungern ans Steuer. Aber Frafa erinnerte sich an eine Zeit, da selbst diese Wagen neu gewesen waren, und ein wenig war es eine Rückkehr zu etwas Vertrautem.
  Sie fuhr langsam und vorsichtig, während der Fahrer auf dem Rücksitz schlief, und als im Motorraum etwas schnarrte, fuhr sie rechts ran und meditierte eine Weile, bis ihr Chauffeur sich darum kümmern konnte.
  So gelangte sie nach Daugazburg, erschöpft, verschwitzt, staubig und in ihrem Inneren ausgebrannt - so ausgebrannt, dass sie nicht mal das Nötigste für ihren Leib zu tun wagte.
  Sie ließ den Mietwagen aus der Provinz am Stadtrand halten, zwischen Reihen einzeln stehender, neuer Häuser, mit den gewaltigen Wohntürmen der Innenstadt als verschwommene Silhouette in der Ferne. Die Mittagssonne ließ die Luft flirren, und Frafas Augen brannten. Aber sie wollte den Fahrer und sein altersschwaches Gefährt nicht in den Stadtverkehr führen, über die Hochstraßen und zwischen die Gasturbinenflitzer, die die klapprige Motorkutsche im Falle eines Unfalls vermutlich in Stücke gerissen hätten.
  Frafa bezahlte den Chauffeur und bestellte einen neuen Wagen, der sie das restliche Stück bis zu ihrem Haus bringen sollte. Dort entspannte sie sich, schaute aus dem Fenster und genoss die Dunkelheit, die in ihrem Stadtviertel den ganzen Tag anhielt.
  Daugazburg war mehr denn je eine Stadt der Türme geworden, und eine Stadt der Menschen. Aus den schlanken Türmen von Frafas Kindheit waren Hochhäuser geworden; weit mehr als die Zuflucht von Zauberern oder die Überreste von Festungen. Sie ragten in der Innenstadt auf, hunderte von Metern, die höchsten Komplexe an die tausend Meter hoch und mit der Wohnfläche einer Kleinstadt in ihrem Inneren.
  Dazwischen spannten sich die Hochstraßen, keine schmalen Brücken wie einst, sondern vielspurige Fahrstraßen, in dutzenden Ebenen übereinander und verschlungen wie ein Spinnennetz, das ganz Daugazburg erfasste. Und die Verhältnisse hatten sich umgekehrt: Während früher die hohen Straßen den Nachtalben vorbehalten waren, den Herren der Stadt, fuhren oben nun die Menschen. Die Finstervölker hatten sich ein Refugium in der Tiefe geschaffen, in den dunklen Tälern zwischen den Gebäuden, unter dem Schatten der Straßen auf den ebenerdigen Wegen und Plätzen, wo kaum je ein Sonnenstrahl hinfiel.
  Frafa sah aus dem Fenster ihres Appartements im dritten Stock auf ein gräuliches Zwielicht, in dem rote und gelbe Lichter flackerten - die Tafeln von Clubs und Restaurants und Supermärkten, von Leuchttafeln und auch eine matte Straßenbeleuchtung, die zu keiner Tageszeit erlosch.
  Während die Türme von Daugazburg sich oben der Sonne entgegenstreckten, waren die Tiefen der Stadt ein Meer von kaltem, buntem Licht, gespeist von den unermesslichen Kräften des Blutes der Erde unter ihren Füßen, von tief im Boden versenkten Repulsatoren aufgefangen und umgewandelt in Lumineszenz, die Menschen den Weg wies und den Finstervölkern angenehm war.
  Frafa wohnte gerne in der Unterstadt, wo sie sich weniger gefangen fühlte als in Aldungans musealem Palast.
  Aber genau dorthin würde sie sich bald begeben müssen, um Bericht zu erstatten.
  Sie trat zu ihrem Telefon, einem einfachen Sprechgerät, das an dem jahrhundertealten Kabelnetz hing und nur innerhalb von Daugazburg funktionierte. Sie hatte mitbekommen, dass immer mehr Bürger ganz auf diese Verbindung verzichteten und nur noch Portalsteine unterhielten. Das ließ die alte Stadtleitung womöglich zunehmend altmodischer werden - es machte sie aber auch zu etwas Besonderem. Eine Verbindung für die Elite der Stadt, für die Alten und die Mächtigen, die einfach aus Gewohnheit an dem alten Netz festhielten, ihre persönlichen Rufnummern durch die Zeitalter mitnahmen und jeden, der eine persönlichere Verbindung zu ihnen suchte, dazu zwangen, es ihnen gleichzutun, sich durch diesen rein äußerlichen Schritt einem Netzwerk anzuschließen, das weit mehr umfasste als nur die Leitungen eines Telefons.
  Es klingelte eine ganze Weile, aber niemand hob ab. Frafa erwog kurz, eine Verbindung über den Nexus aufzunehmen, aber dann wählte sie einen allgemeineren Anschluss im Haus und erfuhr von einem minderen Assistent, dass Fürst Aldungan bereits fort war, zu einem öffentlichen Ereignis - der feierlichen Einweihung eines neuen Schlachtschiffs bei den militärischen Werften . Am späteren Abend war eine Gesellschaft im Haus geplant, mit wichtigen Gästen aus der Stadt und von anderswo. Frafa wurde erwartet - auch wenn Aldungan in dieser Nacht vermutlich nicht die Zeit finden würde, persönlich ihre Berichte entgegenzunehmen.
  Frafa nickte, was bei der reinen Sprechverbindung niemand sah, und legte auf.
  Unentschlossen stand sie da, dann entschied sie, ein Bad zu nehmen. Waschen und Umziehen musste sie sich ohnehin, und die Zeit für ein Bad zu nutzen war gewiss angenehmer, als auf einer Tribüne zu stehen und die Taufe eines Schiffes zu verfolgen, die sie nicht im Mindesten interessierte.
  Frafa lächelte. Im Grunde, entschied sie, war es ein Glück, dass sie so lange unterwegs gewesen war. Aldungan hätte andernfalls darauf bestanden, dass sie bei dem offiziellen Ereignis an seiner Seite stand. Frafa ging ins Bad, ließ warmes Wasser einlaufen und nutzte die Zeit, während die Wanne volllief, um im Salon den Bühnenprojektor einzuschalten. Schatten erschienen auf der milchigen Scheibe, wurden zu farbigen Gestalten - es war ein altes Gerät. Die modernen Projektoren kamen ohne Bildschirm aus und warfen ihre Szenarien wie eine perfekte Illusion in den freien Raum. Frafa hatte es in anderen Häusern gesehen - aber keinen Grund gesehen, selbst so etwas anzuschaffen.
  Wenn sie räumliche Szenarien sehen wollte, konnte sie auch einfach auf die Straße treten.
  Sie suchte einen Nachrichtenkanal, drehte das Bild matt und den Ton lauter. Dann zog sie sich aus, warf das ruinierte Kleid in einen Mülleimer und ließ sich seufzend ins Wasser gleiten. Sie machte die Augen zu, ließ den Geist treiben. Sie fühlte sich matt.
  Trotz der anstrengenden Reise war ihr Körper unbeschadet. Gespannte, überanstrengte Muskeln, angestoßene Wirbel - all das heilte sie beiläufig, ohne sich auch nur darum kümmern zu müssen. Aber da war ein Gefühl hinter ihrer Stirn wie von einem Loch, das sie nicht füllen konnte, und eine Schwere, die nicht vom Leib kam. Der Zauber hatte sie erschöpft, aber das war nicht alles.
  Die ganze Reise zehrte an ihr, auf noch viel weniger greifbare Weise als die Magie, die ihre Aura erschöpfte, oder die Strapazen, die ihren Körper beanspruchten. Wieder eine nutzlose Reise, Gespräche in Aldungans Auftrag. Verhandlungen mit Vertretern der Gerechten Ordnung, Unterhaltungen mit Freunden von der Harmonischen Vielfalt in der Hauptstadt. Nichts von Bedeutung, behutsame Kontaktpflege, nicht mehr. Das halbe Jahr war sie in solchen Dingen unterwegs, die andere Hälfte des Jahres lächelte und plauderte sie in Aldungans Namen mit halb Daugazburg.
  Sie war seine Privatsekretärin, wieder und immer noch, aber die Politik hatte ihren Sinn verloren. Sie war Kanzlerin von Falinga gewesen, dann Statthalterin im Osten, Botschafterin, Dekanin der magischen Akademie von Daugazburg und dazwischen immer mal wieder Aldungans rechte Hand. Sie hatte Dinge aufgebaut, geglaubt, dass ihr Wirken einen Unterschied machte ... bis sich schließlich alles verändert hatte, mit oder ohne ihr Zutun. Jetzt pflegte sie wieder Kontakte, die in zehn, zwanzig oder hundert Jahren verdorrt waren, beförderte Projekte, die irgendwann Frucht tragen und wieder verwelken würden ... was sie tat, kam ihr sinnlos vor; was sie getan hatte, kam ihr sinnlos vor.
  Sie überlegte, ob sie ihre Stellung bei Aldungan kündigen sollte. Aber was sonst sollte sie tun? Hinaus auf ihre ländlichen Anwesen ziehen? Sich einen modernen Bühnenprojektor in den größten Raum ihres Appartments stellen und Tag und Nacht nur noch dramatische Geschichten verfolgen, die irgendwelche anderen Leute ersannen, inszenierten, aufführten und schließlich für Publikum ausstrahlten?
  Wäre das ein Unterschied zu meinem jetzigen Leben?
  Nun, zumindest müsste ich keine Elfenwälder mehr verbrennen.
  Frafa stockte. Nein, das war ungerecht. Sie hatte einen Unterschied gemacht! Die Elfen bedrohten die Union, und mit diesem gewagten Anschlag auf die Zuglinie zwischen Daugazburg und der Hauptstadt war fast die Grenze zum Krieg überschritten. Irgendetwas würde passieren, und Frafa musste zugeben, dass dieses magische Duell das Beste gewesen war, was ihr seit Jahren passiert war. Was sie seit Jahren empfunden hatte! Und sie hatte Leben gerettet, die Fahrgäste des Zuges, die ohne ihr Eingreifen womöglich den Angriffen des fliegenden Waldes zum Opfer gefallen wären.
  Vielleicht brauchte sie einfach mehr Aufregung? Eine Herausforderung? Vielleicht sollte sie Aldungans Dienst kündigen, um etwas anderes zu tun?
  Frafa setzte sich auf. Das Wasser schwappte. Ein Dutzend daumengroßer Spinnen saß am Rand der Wanne versammelt und blickte ihre Herrin erwartungsvoll aus winzigen Knopfaugen an. Sie hielten selbstgewebte Seidentücher in den Händen, um die Wanne und das Badezimmer zu polieren, sobald Frafa fertig war und das Wasser abgelassen. Zwei der nervöseren seilten sich eilig ein Stück vom Wannenrand empor, um keine Spritzer abzubekommen, als Frafa aufstand.
  Ein Skalkar, ein magischer Diener mit Flügeln, Schnabel und langen Armen, den Frafa selbst erschaffen und belebt hatte, trat an ihre Seite und legte ihr einen seidenen Bademantel über die Schulter. Weitere Spinnen schwebten an Fäden von der Decke und wischten Frafas feuchte Fußabdrücke vom Boden. Der Skalkar zog den Stopfen aus der Wanne und watschelte schweigend hinter seiner Herrin her ins Schlafzimmer, wo er ihr gemeinsam mit seinen Kameraden beim Ankleiden half.

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