Deleted Scenes

4. Kapitel: Aldungans Empfang

Ich will nicht behaupten, dass die folgenden Szenen besonders wichtig sind (okay, das gilt wohl für alle “Deleted Scenes”, sonst hätte ich sie ja nicht gelöscht). Was bei Aldungans Empfang fehlt, ist allerdings wirklich nur ein wenig Hintergrund, und ein wenig Sinnieren von Frafa:
  Die erste Szene des Empfangs plätscherte in der ersten Fassung noch ein wenig länger aus; es gibt ein paar zusätzliche Dialogzeilen im Geplauder zwischen Frafa, Gulbert und Descidar; und als Frafa den Empfang verlässt, ist der Weg durch Aldungans Turm etwas ausführlicher beschrieben. Wer das doch interessant findet, der findet es hier ...

next07... Wenn dieses Schiff also sein Projekt war, weshalb wählte er dann den Namen eines alten Feindes dafür? War das nicht ein wenig zu viel der Verbrüderung, selbst wenn man das neue Bündnis in Betracht zog?
  Frafa zuckte die Achseln und ging Richtung Mondscheinsaal. Vermutlich lohnte es nicht, lange über diese Frage zu spekulieren. So wenig wie Aldungan hatte Gulbert derzeit ein offizielles Amt inne. Wenn er seine »Projekte« verfolgte, so hieß das nichts weiter, als dass er hinter den Kulissen seinen Einfluss geltend machte, dass er mit den richtigen Leuten sprach und dass Firmen, an denen er beteiligt war, sich in der Sache engagierten.
  Was auch immer Aldungan gesagt hatte, und wie auch immer Gulbert daran beteiligt war: Am Ende waren es Regierung und Militär, die den Bau neuer Kriegsschiffe umsetzten. Die Namenswahl mochte schlicht ein Zufall sein und auf die Vorliebe irgendeines Generals oder Ministers zurückgehen. Immerhin lag der Heimathafen dieses Flugkreuzers in Daugazburg, und »Gulberts Projekt« bedeutete noch lange nicht, dass Gulbert in jeder Einzelheit auch persönlich die Finger im Spiel hatte.

...

Gulbert musterte ihn missbilligend. »Ich finde die Haltung zynisch, die Sie zu diesen ruchlosen Anschlägen an den Tag legen, Doktor Descidar. Und ein wenig leichtfertig von Ihrer Seite, muss ich sagen. Wäre es nicht mehr als peinlich, wenn die Regierung weitere Schiffe in Auftrag gibt und sich die Bestellung verzögert, weil Ihr Unternehmen nicht liefern kann?«
  »Ich bin nicht für die Sicherheit der Farm verantwortlich. Die Insel der Seligen ...«
  Gulbert schnitt dem Doktor mit einer Geste das Wort ab. »Wir werden über diese Dinge reden müssen. Aber nicht jetzt und nicht hier.« Gulbert wandte sich zu Frafa hin und lächelte wieder. »Man sollte beim Essen nicht über Geschäfte sprechen.
  ...
»Ich bin ohnehin fertig«, erwiderte sie. »Ich muss mich noch um andere Gäste kümmern. Wenn Sie mich entschuldigen würden, Herr Gulbert.«
  Der alte Zauberer nickte gönnerhaft und ließ sich am Tisch nieder. Der Servierer breitete Teller und Besteck vor ihm aus. Gulberts derzeitiges Gefolge balgte sich um die besten Plätze an seiner Seite.
  ...
Frafa schritt zum Aufzug. Der Liftjunge darin war ein livrierter Kobold, der mit einem silbernen Stab die Schalttafel bediente. Er nickte ihr zu, als sie in die Kabine trat. »Frau Frafa, Herrin.«
  Sie ließ sich in den 42. Stock bringen, das höchste Geschoss, das dieser öffentliche Aufzug erreichen konnte. Als die Tür aufging, fiel ein verblassender Lichtteppich in den dunklen Flur einer Geschäftsetage. Hier lagen Büros und Kanzleien, die allesamt zu Aldungans Besitz zählten, aber nicht zum inneren Kreis seines Stabes. Für gewöhnlich wurde hier Tag und Nacht gearbeitet - immerhin war das hier Daugazburg. Aber anlässlich seines Empfangs hatte Aldungan zwei Feiertage für sein ganzes Haus ausgerufen, und so waren sämtliche Etagen verwaist.
  Frafa trat in den Korridor, und ganz von selbst erwachten die Lampen flackernd zum Leben.
  Sie eilte nur wenige Schritte weiter zu den privaten Aufzügen, die hinauf in die Spitze des Turms führten - in die letzten 17 Etagen, den Überrest von Aldungans Zitadelle. Ihr Handabdruck öffnete die Türen, und ein Aurensensor im Inneren erlaubte ihr die Auswahl zwischen zwölf weiteren Geschossen. Frafa fuhr hinauf ins zehnte.
  Die oberen Etagen von Aldungans Turm enthielten Büros und Kanzleien, die heute verwaist und dunkel dalagen. Als Frafa in den Korridor trat, erwachten die Lampen flackernd zum Leben.
  Ihr eigenes Büro war großzügig im Zuschnitt, aber beinahe leer. Ein breiter, doch zierlich gebauter Schreibtisch stand gegenüber dem Eingang, neben dem Fenster, mit einem Ledersessel dahinter und zwei kleineren Besuchersesseln in der anderen Ecke des Zimmers. Die freie Fläche dazwischen entsprach ihrem Status als Aldungans Privatsekretärin.
  Als Frafa ankam, wusste sie kaum noch, was sie hier eigentlich wollte. Sie hielt sich selten in diesem Raum auf und erinnerte sich nicht einmal mehr genau, wann sie zuletzt hinter dem Schreibtisch gesessen hatte. Wenn Sie nicht in Aldungans Auftrag unterwegs war, betrat sie das Gebäude nur, um ihm Bericht zu erstatten, und der suchte sie niemals in ihrem Büro auf.
  Frafa lehnte sich gegen die geschlossene Tür und atmete tief. Ein eigentümlicher Geruch lag in der Luft, als könne man die Vernachlässigung dieses Raums riechen. Natürlich roch es nicht staubig oder abgestanden - ob Frafa nun da war oder nicht, Teppich und Möbel wurden regelmäßig gereinigt, und die Klimaanlage blies beständig frische Luft herein. Und doch spürte Frafa mit jedem Atemzug eine unbestimmte Kälte, eine Zurückweisung, als wäre dies hier weder ein Ort für sie noch sonst irgendjemandem eine Zuflucht.
  Sie machte kein Licht in dem Zimmer. Ihre Nachtalbensinne reichten zur Orientierung aus. Sie ging zum Fenster und legte dort einen Hebel um. Millionen winziger Kristalle in der Scheibe folgten der Bewegung der Magnete in den Wänden, richteten sich neu aus und ließen das zuvor trübe Glas durchsichtig werden.
  Frafa blickte nach draußen, fast einen halben Kilometer über einem Boden, den sie unter dem Spinnengeflecht der Hochstraßen und einem Flickenteppich aus kleineren Gebäuden gar nicht erkennen konnte. Licht schimmerte aus der Tiefe, vereinte sich in der Ferne und strebte empor zur grandiosen Silhouette der Innenstadt von Daugazburg - Hunderte kleinerer und größerer Wohn- und Geschäftstürme, die silbrig illuminiert unter dem klaren Sternenhimmel glänzten, durchzogen von bunten Streifen und Schlieren - Werbetafeln, Verkehrslichter oder eigenständige Lichtakzente, die bestimmte Stadtviertel oder Gebäudekomplexe hervorhoben. An den Seiten verlor sich das Leuchten in den Vorstädten und in den Feldern und Höfen des Umlandes, wo nur wenige Lichtpunkte aus der Dunkelheit stachen.
  Frafas Blick suchte andere Formen im Lichtermeer - ein anderes Daugazburg. Unter einer hell erleuchteten Hauptstraße erahnte sie noch den Verlauf eines mächtigen Walls, der nur in der Linienführung des Stadtgrundrisses überlebt hatte. Die Halle der Helden hatte die Zeiten überdauert, jenes Bauwerk, das während ihrer Kanzlerschaft ein ganzes Stadtviertel verschlungen hatte - und nun wie ein schmutziger Käfer zu Füßen der höchsten Türme kauerte, von einigen wenigen roten Strahlern mehr schamhaft verhüllt als erleuchtet.
  Der Anblick brannte in Frafas Augen, und wie von selbst bewegte sie die Hand und zog den Hebel, der die Scheibe schwarz werden ließ. Die Stadt, wie sie war, verschwand. Wie viele Städte kann man zur gleichen Zeit vor sich sehen, mit seinen Augen und mit der Erinnerung, ohne in seinem Innersten zu zerreißen?
  Frafa wandte sich ab. Ihr Büro lag zu offen, um eine Zuflucht zu bieten. Doch es gab andere Orte in dieser Zitadelle.

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