Deleted Scenes

14. Kapitel: Rudrogeit geht keinen trinken ...

Und wieder mehr ein “Directors Uncut” als eine “Deleted Scene”: Am Ende des Kapitels sucht Rudrogeit eine Kneipe auf, und was dem Vampir da passiert, ist im Buch noch recht ausführlich beschrieben. Trotzdem, ursprünglich war es noch ausführlicher: Mehr Kneipenschlägerei, mehr Unterhaltung zwischen Rudi und Sona - und vor allem viel mehr Interaktion zwischen dem Rudrogeit und dem Goblin Sneithan!
  Irgendwann allerdings wurde mir bewusst, dass Rudrogeit und Sneithan nur Nebenfiguren sind, und so viel Sendezeit sollte man ihnen doch nicht einräumen. Ich habe also gekürzt. Trotzdem gefällt mir die Szene noch immer sehr gut, und man erfährt eine Menge vom Innenleben des Vampirs und auch von seinem Verhältnis zum Goblin, was später im Buch noch eine Rolle spielen wird.
  Hier also präsentiere ich die komplette Szene in der vollen, ursprünglich geplanten Länge!

next07»Einen ... Xotocl«, sagte Rudrogeit.
  Der Barmann - Rudrogeit war sich nicht sicher, ob das der richtige Ausdruck war in dieser Hinterwäldlerkneipe, deren Tresen kaum den Namen »Bar« verdiente - musterte ihn abschätzig. Er wischte Gläser an seiner Schürze trocken und stellte sie neben den Zapfhähnen ab.
  »Ein was?«, fragte er.
  Rudrogeit suchte nach einer Getränkekarte. Aber obwohl das dämmrige Innere dieser Kneipe einem Vampir gelegen kam, sah er nichts dergleichen.
  »Xotocl«, wiederholte er. »Oder ... Was für Mischgetränke haben Sie hier?«
  »Mischgetränke?«, wiederholte der ... ja, Wirt! Das war die passende Bezeichnung, beschloss Rudrogeit. Er erinnerte sich an eine Zeit, als solche Häuser stets Schenken mit Wirten gewesen waren und die neumodischeren Begriffe noch nicht geboren waren. Und hier an der Grenze schien die Zeit stehengeblieben zu sein.
  »Wir haben nix Gepanschtes, Vampirjunge«, sagte der Wirt. »Wir haben Bier, Schnaps ...«
  »Drei Kronen«, warf eine Stimme in Rudrogeits Rücken ein. »Das macht selbst Tote wieder warm.«
  Rudrogeit drehte sich um. Ein halbes Dutzend junger Burschen hatte sich hinter ihm versammelt, in blauen Arbeitshosen und mit grobkarierten Hemden. Sie waren kräftig, aber mit ein wenig mehr Bauch als Schulter ausgestattet.
  »Tut mir leid.« Rudrogeit blickte vom Wirt zu der Dorfjugend. »Alkohol wirkt nicht auf mich. Es wäre Verschwendung.«
  »Ja, klar«, sagte einer der Burschen. »Schnaps ist ein Vergnügen für die Lebenden.«
  »Ich bin durchaus lebendig«, erklärte Rudrogeit. »Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Vampire tot oder ›untot‹ wären. Tatsächlich sind wir einfach nur eine andere Spezies. Unsere Körpertemperatur ...«
  Die jungen Burschen sahen sich an und lachten.
  »Und ihr trinkt kein Blut, sondern dieses Kokotel, Spitzzahn?« Einer aus der Gruppe trat auf Rudrogeit zu und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht. »Willst du uns das erzählen?«
  »Wir benötigen Blut als Nahrung«, räumte Rudrogeit ein. Weitere Gäste sammelten sich an beiden Enden des schmalen Raums, neugierig, aber so weit von dem Auflauf an der Theke entfernt, wie die Räumlichkeiten es hergaben. »Viele andere Speisen vertragen wir nicht, und auch unser Geschmackssinn ist eingeschränkt. Wenn der Herr Wirt also kein ...«
  »Ui, der Herr Wirt!«
  Ein paar der Burschen lachten.
  »Vielleicht stehst du auch nur hier an der Theke, um unsere Frauen aufzureißen?« Der Sprecher zwinkerte seinen Kumpels zu. »Sie aufzureißen und ihr Blut zu trinken!«
  Rudrogeit verdrehte die Augen, aber er wollte keinen Streit.
  »Die Truppe sorgt für meine Vorräte«, sagte er. »Ihr habt nichts zu befürchten.«
  »Fürchten?«, sagte der junge Mann. »Es heißt, Vampire sind schneller und stärker als lebende Männer. Von unheiliger Kraft erfüllt. Aber bist du auch stärker als sechs von uns?«
  Rudrogeit hob beschwichtigend die Hände und trat von der Theke fort. Er versuchte es. Sofort zielte einer der Burschen einen Schwinger auf sein Gesicht. Rudrogeit wich aus, ballte die Faust, ließ sie sinken.
  »Bitte«, sagte er. »Es gibt keinen Grund ...«
  Zwei der jungen Männer verstellten ihm links und rechts den Weg. Der Bursche vor ihm schlug erneut zu. Rudrogeit wollte wieder ausweichen, aber er hatte keinen Platz dafür. Einen Angreifer stieß er beiseite, dann traf eine Faust sein Gesicht. Er schmeckte Blut. Sein eigenes.
  Er stieß den Kopf nach vorne und traf etwas Weiches. Weitere Faustschläge trafen ihn in die Seite, und die Schläger hingen überall an ihm. Sie waren größer als er, und er konnte kaum noch etwas sehen.
  Rudrogeit wollte niemanden verletzen, aber dann dachte er an seine Waffe. Auf keinen Fall durfte er seine Pistole verlieren! Wenn diesen Hinterwäldlern seine Pistole in die Hände fiel, wusste niemand, was geschehen würde ...
  Er wehrte sich heftiger, ließ sich zur Seite fallen, stieß mit der Schulter zu und riss gleichzeitig beide Fäuste nach oben. Aber einer der Angreifer hing an seinem Arm und bremste den Schlag. Rudrogeit riss sich los und rammte dem Mann neben sich beide Hände vor die Brust. Gleichzeitig bekam er ein Knie in den Schritt, und aus seinem Ausbruchsversuch wurde ein Stolpern. Er musste sich an dem Mann festhalten, den er eben von sich gestoßen hatte. Stoff riss, und Rudrogeit hielt einen karierten Fetzen zwischen den Fingern.
  »Schluss damit, ihr Spinner!«, hörte er eine Frau rufen.
  Rudrogeit war der Einzige, der darauf achtete. Als er den Kopf wandte, um nach der Stimme zu schauen, bekam er zwei weitere Schläge ins Gesicht. Er trat nach hinten, und jemand schrie vor Schmerzen. Rudrogeit empfand Befriedigung. Er fühlte die Lust, Knochen zu brechen und ernsthaft zu kämpfen!
  Ein Knall hallte durch den Raum wie ein Schuss. Rudrogeit fuhr herum.
  »Es reicht!«, brüllte der Wirt.
  Schwer atmend ließen die jungen Männer von dem Vampir ab.
  »Keine Schlägerei in meinem Haus.« Der Wirt hielt einen zusammengelegten Ledergurt wie eine Peitsche in der Hand und ließ ihn wieder drohend auf die Theke klatschen. »Wenn ihr nach der Arbeit zu viel Kraft übrig habt, macht das auf der Straße aus.«
  »Oh nein!« Ein Mädchen drängte sich zwischen den Landarbeitern hindurch und fasste nach Rudrogeits Arm. Dabei sah sie grimmig auf die jungen Burschen. »Das werdet ihr schön bleiben lassen. Ihr fallt nicht über unsere Besucher her, wenn sich schon mal welche nach Altagrisa verirren.«
  »Ein Vampir ist das!« Einer der Männer spuckte aus. »Wir haben hier keine Vampire, und wir wollen auch keine!«
  »Ich bin mir sicher, das hat er verstanden.«
  Das Mädchen führte Rudrogeit zwischen den Burschen hindurch auf die Tür zu. Sie trug die schwarzen Haare kurz geschnitten, und ihre Arbeitshose und das grobe Hemd unterschieden sich kaum von dem, was die Angreifer trugen. Erst auf den zweiten Blick erkannte Rudrogeit die kurze Schürze um ihren Leib und die übergroße Geldbörse darin. Aus einer anderen Tasche der Schürze zog sie ein Tuch. Sie wischte ihm das Blut von der Nase, während sie nach draußen traten.
  Es war ein lauer Abend. Staubgeruch hing über der unbefestigten Straße, und nur der Widerschein aus vereinzelten Fenstern sorgte für dämmriges Zwielicht. Das Mädchen führte ihn weiter zu einer Bank neben der Türe und nötigte ihn, sich zu setzen.
  Er zögerte und sah zur Tür. Aus dem Inneren der Kneipe hörte er seine Angreifer grölen und anstoßen. Niemand folgte ihnen. Rudrogeit fühlte das beruhigende Gewicht der Waffe an seiner Seite. Wie es aussah, war er ohne größeren Ärger davongekommen. Er ließ sich auf die Bank setzen, und das Mädchen spuckte auf das Tuch und rubbelte in seinem Gesicht herum. Es schmerzte, wenn sie an die Nase kam.
  Sie hielt kurz inne und sah ihn an. »Tut das weh?«, fragte sie.
  »Ein wenig«, erwiderte Rudrogeit.
  »Oh.« Sie rieb vorsichtiger. »Ich hätte es nicht gedacht. Ich meine, bei Vampiren ...«
  »Tote kennen keinen Schmerz?« Rudrogeit lachte trocken. »Vampire ...«
  »... sind nicht tot«, vollendete sie den Satz. »Ich weiß. 'tschuldige. Im Gegensatz zu diesen Holzfällern habe ich in der Schule aufgepasst.«
  »Sie müssen sich nicht entschuldigen.« Rudrogeit seufzte. »Wenn es keine Vampire in diesem Kaff gibt, ist der Aberglaube natürlich lebendiger als die paar Fakten, die man in der Schule überhört.«
  Sie saßen eine Weile schweigend beieinander. Das Mädchen wischte an seinem Uniformkragen herum, aber es war klar, dass sie an den Blutflecken dort nichts ändern konnte.
  »Entschuldigen Sie«, sagte Rudrogeit schließlich. »Für das Kaff. Ich wollte Ihren Heimatort nicht beleidigen.«
  »Oh.« Sie lachte bitter. »Das tust du nicht. Du beschreibst ihn ganz richtig. Und sag ›du‹ zu mir - jeder tut das. Ich heiße Sona.«
  »Rudrogeit«, sagte Rudrogeit. Er nahm ihre Hand und hielt sie sanft. »Du solltest wieder hineingehen. Bevor deine Freunde glauben, ich hätte dich angesteckt, und uns beiden einen Pfahl durch die Brust stoßen.«
  Er versuchte zu grinsen, aber im letzten Augenblick befürchtete er, dass dieser Anblick seine Helferin beunruhigen mochte, und so wurde eine recht verunglückte Grimasse daraus. Sie lachte kurz auf. Rudrogeit wusste nicht, ob es an seinem Spruch lag oder an dem Ausdruck auf seinem Gesicht.
  »Das sind nicht meine Freunde«, sagte sie. »Und es ist mir auch völlig egal, was sie von mir denken ... Rudrogeit.«
  Sie musterte ihn, langte mit der freien Hand nach seiner Nase, strich über die aufgeplatzte Lippe. »Aber du bist verletzt. Brauchst du ... Blut?«
  »Hrm.« Rudrogeit räusperte sich, wandte sich ab. Der Schmerz war zu einem kaum wahrnehmbaren Kribbeln geworden. Es heilte bereits. Aber er hörte Sonas Pulsschlag, roch ihr Blut durch die Haut. Es fühlte sich an, als würden seine Wunden ihr Blut anziehen, nach einem Schluck aus ihrem pochenden Hals lechzen.
  »Oh nein«, sagte er rasch. »Das sind nur oberflächliche Kratzer, und Vampirfleisch heilt schnell. Ich kann warten, bis ich die nächste Tüte Blut auf dem Schiff bekomme.«
  »Das Schiff. Du gehörst zu dem Flugkreuzer, der vor der Stadt liegt?«
  Rudrogeit nickte. Er hatte immer noch Sonas Geruch in der Nase, ihr Blut ... und mehr. Der Duft ihrer Haut, ihres Speichels mischte sich darunter. Er roch ihren ganzen Leib, und es roch gut. Er hatte selten lebende Menschen gekostet. Selbst damals, in einer anderen Zeit, hatte er das Blut getrunken, das seine Mutter ihm gereicht hatte. Von Sklaven gezapft, in Bechern serviert. Nicht in blutigem Rausch gerissen.
  Töten und Trinken - bei Swankar bekam man von beidem genug, aber seine Mutter achtete darauf, beides voneinander getrennt zu halten. Bei Rudrogeit genau wie bei ihren anderen Gefolgsleuten.
  »Ihr seid wegen dieser Albe hier? Die so viele Polizisten umgebracht hat?«
  Rudrogeit nickte. Er schaute Sona wieder an und bemerkte, dass sie ihn gleichfalls musterte. Einen Augenblick lang versanken ihre Blicke ineinander. Rudrogeit dachte an freie Vampire, von denen er gehört hatte. Manche von ihnen, so hieß es, kauften nicht nur das Blut zum Trinken, sondern lebten mit eigenen Gefolgsmenschen zusammen. Sie tranken in wilden Orgien, während sie und ihre Menschen einander gegenseitig Lust bereiteten.
  »Meine ... meine Vorgesetzte ist gerade bei der Polizei und spricht darüber, wie die Albe entkommen konnte«, sagte er hastig und versuchte, an etwas anderes zu denken. »Ich wollte mich in der Zeit ein wenig in der Stadt umsehen, ob ich ein paar Hinweise sammeln kann.«
  »Weißt du«, sagte Sona, »du kannst froh sein, dass du ein Vampir bist. Auf Nachtalben sind hier alle besonders schlecht zu sprechen. Besonders die Polizei. Ein halbes Dutzend Polizisten ist tot im Gefängnis zurückgeblieben, heißt es, und eine Krankenschwester und einige Gefangene. Sie waren ... verändert. So kalt und starr, als wäre das Leben aus ihnen herausgefressen worden!«
  Rudrogeit lächelte unwillkürlich, als er an seine Mutter dachte - eine Nachtalbe, die besonders schlecht auf die örtliche Polizei zu sprechen war, weil sie Frafa hatten entkommen lassen. Beide Seiten bereiteten sich vermutlich gerade eine richtig schlechte Zeit, und Swankar tat ihm nicht leid. Hätte sie sich nicht mit diesem Elfenwald aufgehalten, wären sie womöglich rechtzeitig hier eingetroffen ... Rudrogeit beschloss, seiner Mutter das noch mal vorzuhalten, nur so zum Spaß.
  Eine handfestere Zerstreuung als die Geschichten über das freie Leben der Vampire - Geschichten, die sich vermutlich aus Ätherdramen speisten, in denen sich morbide Schaudermären menschlicher Schreiber mit den Wunschträumen der Vampirsklaven von Daugazburg vermengten. Wie kam er überhaupt dazu, seine Gedanken so abschweifen zu lassen, nur weil er für einen Augenblick auf einer Bank vor einer Kneipe im Grenzland mit einer Thekenhilfe beisammensaß?
  »Du solltest trotzdem wieder hineingehen«, sagte er. »Der Wirt wartet sicher auf dich. Ich will nicht, dass du meinetwegen deine Stelle verlierst.«
  »Ach was.« Sona warf trotzig den Kopf in den Nacken. »Ich will sowieso nicht ewig für den alten Tasko arbeiten. Wenn ich genug Geld zurückgelegt habe, ziehe ich nach Opponua.«
  »Warum nicht nach Daugazburg?«, entfuhr es Rudrogeit, ohne dass er darüber nachgedacht hätte.
  Sona runzelte die Stirn. »Daugazburg?«
  »Opponua ist die Hauptstadt«, sagte Rudrogeit. »Aber Daugazburg ist größer. Eine lebendige Stadt, mit vielen Völkern. Da gibt es genug Platz für Fremde - mehr als im ordentlichen Opponua. Im Schatten der Türme ist Platz für jeden.«
  Rudrogeit fehlten die Worte, um auszudrücken, was er sagen wollte. Daugazburg, die Stadt der Freiheit. Für jeden, nur nicht für Vampire.
  Sonas Finger wanderten über den Kragen seiner Uniform. »Daugazburg liegt bei den Finstervölkern.«
  »Wir sind ein Land, heutzutage.« Rudrogeit sah sie an. »Es fährt eine Bahn bis nach Daugazburg, und dort leben ebenso viele Menschen wie in Opponua.«
  »Und Fremde.« Ihr Blick flackerte.
  Rudrogeit erinnerte sich daran, wo er war. Eine kleine Stadt an der Grenze. Was auch immer die Union ausmachte, hier war nicht viel davon zu spüren. Hier lebten die Menschen unter sich, und trotz ihrer Freundlichkeit, ihrer Faszination für den Besucher, kannte Sona nichts anderes. Sie würde es vielleicht nie schaffen, von hier fortzukommen. Dieser Abend, der Flirt mit dem Fremden, mochte durchaus die größte Flucht ihres Lebens bleiben.
  Und doch - wenn sie von hier fortkam, wäre Opponua für sie ein ebenso fremder Ort wie Daugazburg. Warum sollte sie also nicht einen Ort vorziehen, an dem sie jemanden kannte, wo jemand dafür sorgen konnte, dass sie in der Stadt nicht verlorenging? Sie hatte ihm hier geholfen. Womöglich konnte er sich revanchieren.
  »Wenn ich nicht im Einsatz bin, habe ich ein Appartement in Daugazburg. Ich kann dir meine Adresse aufschreiben. Melde dich, wenn es dich mal in die Gegend verschlägt ...«
  Er wühlte in den Taschen seiner Uniform nach Blatt und Stift. Er hatte nichts dergleichen. Handlungsreisende trugen stets kleine Karten mit ihrem Namen und ihrem Äthernetz-Code bei sich. Ein Offizier hatte dafür wenig Verwendung. Da entdeckte er einen kleinen Block und einen Minenschreiber in Sonas Schürze, und er fischte beides heraus.
  »Hm, hab's mir gedacht, dass d’was trinken willst. Aber in so’ner hübschen Tüte ... Teilst doch sicher mit’m alten Freund, was, Rud?«
  Rudrogeit blickte auf. Sergeant Sneithan stand auf der Straße, zwei Schritte vor der Bank und die Klauenhände in den Gürtel gehakt. Er grinste und zeigte seine goldbekronten Hauer. Als Sona sich ihm zuwandte, stülpte er die Lippen vor und machte ein schmatzendes Geräusch.
  Mit einem unterdrückten Schrei fuhr sie zurück und presste sich an Rudrogeit. Der wandte den Kopf, damit sie sein Lächeln nicht sah. Ich bin zwar ein Vampir, aber doch nicht so abstoßend wie ein grobschlächtiger Goblin. Ein schmaler Triumph, aber ein warmes Gefühl.
  Er legte den Arm um Sonas Schulter und fuhr Sneithan an: »Was wollen Sie, Sergeant?«
  »Aye.« Sneithan grinste noch breiter. »So’n Förmlicher heut, seh schon, Hau’mann. Soll nach dir schau’n gehn, hat dein' Mama gesagt! Macht sich Sorgen um ihren Kleinen.« Er stand breitbeinig da und wippte vor und zurück. Rudrogeit hätte ihn am liebsten kräftig in die Eier getreten, um dieses fette Grinsen aus seinem Gesicht zu wischen.
  Verlegen strich er sich durch das Gesicht, schob Sona behutsam fort und stand auf.
  »Ist gut«, sagte er zu Sneithan. »Ich komme. Sag Coronel Swankar, dass du mich gefunden hast.«
  Der Goblin machte keine Anstalten, abzuziehen. Stattdessen kniff er die Augenbrauen zusammen und musterte Rudrogeit.
  »Hat’s dich gebissen, dein Schnittchen?«, fragte er. »Versteh ja nix von Vampirzähnen, dacht’ aber immer, sollt’ andersrum sein.« Er schaute das Mädchen an. »Der Junge ’s nämlich an Tüten gewohnt. Die ham keine Zähne zum wiederbeißen.«
  »Sie haben ihn geschlagen!« Sona stellte sich gerade hin, musterte den Goblin empört und wies auf die Tür der Kneipe. »Die Grobiane da drin haben deinen Freund ganz ohne Grund angepöbelt.«
  »Aye, kenn ich«, sagte der Goblin. »Passiert mir auch ständig.«
  Rudrogeit schaute ihn an. Sneithan zeigte die Zähne. Seine kleinen, dunklen Kugelaugen fixierten Rudrogeit, die wulstigen Brauen darüber neigten sich bedrohlich nach vorne. »Kann ich n’türlich nicht zulassen, dass’se das bei’m Kumpel machen. Komm, Junge, poliern’ wir auf, die Landschweine.«
  Er ballte die Fäuste und ging auf die Tür zu. Rudrogeit verstellte ihm eilig den Weg.
  »Lass das, Sneithan. Keinen Ärger hier.«
  »Warum?« Der Goblin und mahlte mit den Zähnen. »Die ha’m angefangen. Lass ich mich nie lang bitten, wenn wer nach Schlägen schreit!«
  »Es gibt Vorschriften«, erwiderte Rudrogeit. »Keine Schlägereien mit Zivilisten. Wir sind Soldaten.«
  Sneithan knurrte. »Bin Soldat. Aber nicht’ kastriert.«
  Er tat zwei weitere Schritte auf die Tür zu, bis sein breiter Brustkorb gegen Rudrogeit stieß, der den Eingang blockierte.
  »Zurück zum Schiff, Sergeant«, brüllte Rudrogeit ihn an. »Das ist ein Befehl.«
  Sneithan verharrte, trat zurück. »Macht einen auf Rang, der kleine Mama-Leutnant«, zischte er. »Aber mir hätt’ hier keiner auf die Nase geschlagen, ohne dass ich’m die Hand abbeiß!«
  »Weil in deiner hässlichen Affenfratze niemand die Nase von dem großen Maul unterscheiden kann.« Rudrogeits Stimme klang ruhig. Er beugte sich dem Goblin entgegen, dass er ihm die Beleidigungen fast ins Ohr säuseln konnte. »Wer dir was auf die Nüstern geben will, der bleibt leicht in deinem großen Maul stecken.«
  Sie sahen einander in die Augen. Sneithan knurrte. Dann wandte er sich ab und stapfte die Straße entlang davon. Dabei lachte er leise und verabschiedete sich mit einer obszönen Geste über die Schulter. »Dafür brech ich dir die Zähne aus, bei der nächsten Übung, Junge«, drohte er.
  »Deine Arme sind so langsam, wie sie lang sind, Pelzgesicht«, rief Rudrogeit ihm hinterher. »Du müsstest mir vorher schon was ins Essen mischen, damit du mich triffst. Noch nie hat ein Goblin einen Vampir verprügelt, wenn er nicht seine Brüder zum Tanz mitbringen durfte.«
  Er blickte Sneithan nach, bis der hinter der nächsten Ecke verschwand. Dann ließ Rudrogeit den Blick nach oben schweifen. Über den Dachfirsten zeichneten sich schattenhaft die Antennenmasten der Lichtbringer ab, die am Rand dieses Vororts gelandet war.
  »Ich hoffe, du kriegst keinen Ärger mit diesem Ungeheuer«, sagte Sona.
  Rudrogeit wandte sich zu ihr um. »Sneithan ist ein Goblin.« Er versuchte, zu lächeln und seine Stimme fröhlich klingen zu lassen. »Goblins machen immer Ärger, ob man sie vorher reizt oder nicht.«
  »In Altagrisa gibt es keine Goblins«, sagte Sona. »Es ist ein langweiliger Ort, aber vermutlich ist nicht alles schlecht.«
  Rudrogeit erinnerte sich daran, dass er immer noch Sonas Block und Stift in der Hand hielt. Hastig kritzelte er seine Adresse und den Code seiner Gesprächsverbindung auf ein Blatt. »Melde dich, wenn du nach Daugazburg kommst«, sagte er. »Wenn ich zuhause bin, kann ich dir alles zeigen, was du dort kennen musst.«
  »Vielleicht melde ich mich mal«, erwiderte sie. Sie riss das oberste Blatt ab und stopfte es in die Hosentasche, bevor sie den Rest wieder in die Schürze beförderte. »Vielleicht melde ich mich, wenn ich in Opponua bin. Da wären wir beide fremd und könnten die Stadt zusammen entdecken. Falls du einmal eine Luftveränderung brauchst.« Sie zwinkerte ihm zu.
  »Ja«, sagte Rudrogeit. »Vielleicht wäre es das Richtige für mich.«
  Als Sona in Taskos Wirtschaft verschwunden war, wandte er sich ab. Er sah wieder die Silhouette von Swankars Schiff hinter den Häusern. Für manche, dachte Rudrogeit, war es leichter als für andere, seinem Zuhause den Rücken zu kehren und anderswo neu anzufangen.
  Aber andererseits, womöglich dachte das jeder, sobald es ihn selbst betraf.

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