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6. Kapitel: Frafa fährt zur Uni

Im sechsten Kapitel taucht Frafa recht unvermittelt auf dem Gelände der Akademie für Zauberei auf. Ursprünglich hatte ich allerdings vorher noch ihre Anreise und ihre Ankunft beschrieben. Passieren tut dabei nicht viel, aber man erfährt noch ein wenig über Frafa, ihr Leben und ihr Umfeld.

next07Frafas Wagen fuhr vor, und mit Unterstützung der Goblins und des Chauffeurs bahnte sie sich einen Weg durch die Reihen der Schaulustigen vor dem Appartementhaus und in den Fond. Sie atmete auf, als die schweren Türen sich hinter ihr schlossen, und sie durch die abgedunkelten Scheiben das Treiben der Menge nur noch wie durch einen schützenden Schleier wahrnahm. Sie selbst war hinter dem dunklen Glas unsichtbar, unerreichbar ...
  Misstrauisch strich sie mit den Fingern über die Polster, als könne sie so die Schatten aufspüren, die sie in ihrem Schlafzimmer heimgesucht hatten.
  Der Fahrer stieg ein, und lautlos setzte sich die Limousine in Bewegung. Im Schritttempo schnitt sie sich einen Weg durch die Umstehenden, dann folgte der Fahrer den belebten Gassen am Boden von Daugazburg in Richtung einer Auffahrt zu den höher gelegenen Schnellstraßen.
  »Wohin soll ich Sie bringen, Frau Frafa?«, fragte er, als sie den größten Trubel hinter sich hatten.
  »Die Akademie«, antwortete Frafa nachdenklich, dann entschiedener: »Ja, zur Akademie, Gatwaek.«
  Der Kobold, der auf einem extra hohen Sitz hinter dem Steuer saß, nickte. Doch nach wenigen Minuten wandte er ein: »Es gab einen Anschlag, murmelten die Leute vor Ihrem Haus. Wollen Sie nicht zur Polizei?«
  »Zur Polizei ...« Frafa blickte aus dem Fenster, auf die schweren, rotschwarzen Fundamente der Altstadt, an denen ihr Selbstfahrer vorbeirollte. »Richtig. Dorthin wendet man sich ja in solchen Fällen, heutzutage ...«
  Ihre Stimme wurde leiser. Es war ihr nicht einmal in den Sinn gekommen, bei den Behörden Schutz und Aufklärung zu suchen. Sie hatte sich vor langer Zeit schon angewöhnt, solche Dinge selbst in die Hand zu nehmen, oder vielmehr die Unterstützung ihrer eigenen Kreise einzuholen. Was auch immer da geschehen war: Es war ein magischer Angriff gewesen, und soweit sie wusste, war sie die bedeutsamste Zauberin in Daugazburg. Was konnte die Polizei ihr da nutzen?
  Die bedeutsamste Zauberin ... Mit Ausnahme von Aldungan, wenn man diesen als bloßen Zauberer rechnen wollte. Und natürlich von Gulbert, der sich derzeit auch in der Stadt aufhielt.
  Unter normalen Umständen hätte sie zuallererst Aldungan aufgesucht, zumindest dann, wenn sie davon ausgegangen wäre, dass ein solcher Übergriff Aldungans Interessen berührte. Wenn nicht, hätte sie einfach selbst ihre Kontakte in Aldungans Stab und seine Ressourcen genutzt, um den Dingen auf den Grund zu gehen - den Schuldigen zu ermitteln, Gegenmaßnahmen zu treffen.
  Aber die Art des Angriffs gab ihr zu denken. Diese Dinge im Schatten - es waren keine Dinge gewesen, sondern Wesen. Aber keine Wesen dieser Welt. Lebendige und zugleich tödliche Schatten, woher konnten solche Geschöpfe stammen? Unwillkürlich dachte Frafa an Dämonen, an jene seltsamen Kreaturen, die manche Zauberer angeblich aus den Tiefen des Ätherraums herbeizitieren konnten.
  Frafa kannte sich in derlei Dingen nicht aus. Selbst für sie war Dämonologie kaum mehr als ein Mythos der Vergangenheit. Sie wusste kaum mehr darüber, als dass man Leuchmadan die Meisterschaft in dieser Kunst zuschrieb - und das erweckte auch die Erinnerung an andere, ältere Gerüchte, an Dinge, die man einst über Aldungan erzählt hatte, zu Beginn seiner Herrschaft.
  Frafa hatte die neue Akademie von Daugazburg wiederaufgebaut und reformiert. Jahrzehntelang hatte sie die gesamte Hochschule geleitet, und noch länger den Lehrstühlen für Magie vorgesessen. Dennoch kannte sie niemanden, dem sie zutraute, solche Kreaturen zu rufen und gegen sie zu lenken. Aber ihr ging, seitdem sie Zeit gefunden hatte, über den Vorfall nachzudenken, der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, dass vor tausend Jahren manch einer gemunkelt hatte, Leuchmadans Macht wäre in Aldungan wiedergeboren worden, so wie er vorher schon für einige Zeit den Leib eines Nachtalben angenommen hatte.
  Eine absurde Vorstellung. Aldungan praktizierte die Magie des Lebens. In einem Ausmaß, das bis heute weit über Frafas Vermögen hinausging - und doch hatte er nie eine Neigung zu jenen fremdartigeren Zaubern gezeigt, die man Leuchmadan zuschrieb. Aber da gab es diese Gerüchte, und das belauschte Gespräch in der Nacht zuvor, und dann den Vorfall im Morgengrauen ... Und Frafa musste erkennen, dass sie ihrem alten Meister nicht vertraute.
  Sie musste sich selbst Gewissheit verschaffen und in der Akademie nach Hinweisen suchen, nach Hinweisen, die ihr womöglich verrieten, wer hinter dem Überfall steckte und ob sie es wagen konnte, ihrem Lehrherrn um Rat zu fragen - oder ob sie ihn fliehen sollte, so weit wie möglich und ohne Spuren zu hinterlassen.
  »Nein«, sagte sie zum Chauffeur. »Bring mich zur Akademie. Und nimm dir frei ... vielleicht einen Urlaub. Mindestens eine Woche. Ich ... Du wirst noch von mir hören, wie lange.«

Erst als Frafa das Foyer der Akademie betrat, wurde ihr bewusst, wie lange sie nicht mehr hier gewesen war. Der neue, große Turm, das Wahrzeichen der Akademie von Daugazburg, der mit schlanker Taille und einer Spitze, die fast an ein Schiff erinnerte, über dem Campus hinausragte, war erst nach ihrer Zeit gebaut worden. Die Hauptzufahrt zur Akademie endete auf einem Parkdeck im zwanzigsten Stock, und hier ließ Frafa ihren Chauffeur anhalten und stieg aus.
  Der Empfang nahm ein ganzes Geschoss ein, auf einer Höhe, da der Turm noch nicht ganz so schlank war, und mit Zugängen zu Treppen und Aufzügen im Kern des Gebäudes. Studenten liefen hier umher, zum großen Teil Menschen, überraschend viele Kobolde und wenige Alben.
  Frafa wandte sich an einen Pförtner.
  »Liegt das Institut für ätherische Wissenschaften noch an seinem gewohnten Platz?«
  Die Menschenfrau hinter dem Tresen blickte auf und sah sie an, als müsse sie darüber nachdenken, ob Frafa einen Scherz gemacht hätte. »Heute morgen, vom Fenster aus, sah es nicht so aus, als hätten sie sich fortteleportiert«, antwortete sie mit einem schiefen Grinsen.
  Menschen.
  Frafa brauchte einige Augenblicke, bis sie verstand, warum ihre Frage missverständlich geklungen hatte. Was für Frafa ein Gebäudekomplex war, den sie hatte wachsen und wandeln sehen, der sich in verwirrender Weise über die Jahrhunderte neu gruppierte, war für diese Menschenfrau vermutlich eine Anlage von ehrfurchtgebietender Beständigkeit.
  »Ich war seit etwa hundert Jahren nicht mehr hier«, erwiderte Frafa, und erwiderte das Lächeln, so gut sie es vermochte.
  »Oh.« Die Pförtnerin schaute Frafa aus großen Augen an. »Tut mir leid«, sagte sie. »Die Alben vom Lehrkörper kenne ich alle, dachte ich. Und wenn neue vorbeikommen, denke ich, es müssten Studenten sein. Es ist ja schwierig, bei Alben das Alter zu erkennen.«
  Sie lachte.
  »Nein«, sagte Frafa. »Eigentlich nicht. Ich möchte zum Lesesaal.«
  »Sie sind ... noch mit der Akademie verbunden?«, fragte die Frau.
  Frafa zögerte kurz, ihren Namen zu nennen. Immerhin hatte jemand eben einen Anschlag auf sie verübt, und solange niemand genau wusste, wo sie war, genoss sie zumindest eine relative Sicherheit. Andererseits war es auch zu früh, um übertrieben misstrauisch zu reagieren. Und wenn sie sich nun auf anderem Wege Einlass in die Akademie verschaffte, fiel sie womöglich nur noch mehr auf.
  »Ich bin Frafa«, sagte sie. »Ich hatte zuletzt die Leitung des ätherischen Instituts inne, und war danach auch noch eine Zeitlang für Vorträge und Forschungen im Haus.«
  Die Pförtnerin gab Frafas Namen auf ihrem Portalzugang ein, und undeutlich sah Frafa von der Seite ihr Bild und einige Angaben auf der Anzeige aufleuchten.
  »Ihr Zugang wurde nie widerrufen«, stellte die Pförtnerin fest. Sie kniff die Augen zusammen und wirkte überrascht - als müssten hundert Jahre der Abwesenheit einen Unterschied machen. »Sie sind hier immer noch als Dozentin geführt.«
  »Das überrascht mich nicht.« Frafa stützte den Ellbogen auf den hohen Tresen, legte den Kopf auf die zierlich gefaltete Hand und lächelte, dass ihre beiden spitzen Zahnreihen funkelten. »Die letzten Personen, die Lust hatten, mir meine Ämter und Posten streitig zu machen, sind bereits vor ungefähr achthundert Jahren gestorben, glaube ich.«

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