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19. Kapitel:
Als Darnamur wieder auf Wito trifft, berichtet er ihm, was ihm wiederfahren ist, seit er von den Gefährten getrennt wurde. Diese Geschichte ist im Buch auf ein Minimum gerafft – in der ersten Fassung hat Darnamur seine Erlebnisse sehr ausführlich geschildert. Wer also den Kampf gegen den Unkwitt in allen Einzelheiten erzählt haben will, findet das jetzt nur noch hier als Deleted Scene. Und, Achtung – natürlich ist das ein Mega-Spoiler!

next05»Aber du bist entkommen«, stellte Wito fest. »Und du hast den Unkwitt erschlagen, hattest du behauptet. Wie kann das sein? All die großen Leute haben daran nicht einmal gedacht.«
»Größe war auch nicht der entscheidende Punkt dabei. Ganz im Gegenteil. Ich habe mich klein gemacht, um mich vor Grautaz zu verstecken. Aber das reichte nicht. Der Unkwitt hat mir nachgestellt. Und da dachte ich mir, wenn er mich ohnehin nicht in Ruhe lässt, kann ich ihn genauso gut piesacken.«
Darnamur trat ein wenig von der Quelle weg und setzte sich auf einen Stein. Wito schloss sich ihm an. Darnamur hatte die Truhe mitgebracht, um derentwillen sie die ganze Reise auf sich genommen hatten. Er stellte sie auf seinem Schoß ab und sank ein wenig in sich zusammen. Er blickte auf seine Füße, während er weitererzählte.
»Ich bin dem Unkwitt ins Ohr gekrochen. Ich hatte zuerst gar keinen richtigen Plan, ich dachte nur, ich suche mir eine Stelle, wo er etwas weicher ist. Ich wollte ihn zumindest verletzen ... Oder mehr versuchen. Aber von dem Ohr aus konnte ich mich tiefer in seinen Kopf schneiden. Wusstest du, dass diese Geschöpfe irgendwo hinter dem Ohr eine Lücke in ihrem Schädelknochen haben, durch die man bis zu ihrem Gehirn vordringen kann?«
Wito schüttelte den Kopf.
»Ich wusste es auch nicht. Ich bin nur so weit vorgedrungen, wie ich konnte, und ich dachte mir: Wenn ich schon sterbe, dann nehme ich den Unkwitt mit. Du weißt, Grautaz war etwas Großes. Es wäre ... würdig gewesen. Als ich nicht mehr weiter konnte, und überall um mich her war Blut und zähe Häute, die ich nicht mehr mit dem Knochenmesser durchschneiden konnte, da musste ich eine Entscheidung treffen. Ich war so weit drin, wie ich nur kam, und ich konnte entweder was ausrichten, oder aber nicht. Dann streckte ich das Messer vor und machte mich groß.«
Darnamur stockte kurz, und Wito nickte auffordernd. Darnamur fuhr fort:
»Ich dachte nicht, dass ich das überlebe. Ich dachte, ich werde zerquetscht im Schädel des Unkwitt. Aber ich dachte mir auch, vielleicht zerquetsche ich auch in ihm etwas Wichtiges, vielleicht dringt ihm meine Knochenklinge, wenn sie wieder groß wird, tief in irgendwelche Weichteile. Immerhin war ich unter seinem Panzer, was keiner von den Großen geschafft hat. Ich dachte mir, vielleicht sterben wir beide zusammen.
Aber ich bin nicht gestorben.
Ich wurde einfach groß, und dann zerriss einiges, was ich in meiner kleinen Gestalt nicht durchdringen konnte. Und mein Messer schnitt sich weiter. Plötzlich war ich eingeklemmt, zwischen dem Schädelknochen und etwas Weichem. Ich bekam keine Luft mehr, und überall war heißes Blut. Und ich schnitt und trat und stach, aber ich bekam keine Luft.
Der Unkwitt tobte und schlug seinen Kopf irgendwo gegen. Aber mit einem Mal wurde er ruhig. Ich fühlte ihn auf dem Höhlenboden aufschlagen. Mir war schon ganz flau, da tanzten Lichter vor meinen Augen, und mein Schädel pochte. Aber ein anderes Pochen war dafür verschwunden, ein dumpfes Wummern, das vorher überall gewesen war, so beständig, dass ich es gar nicht wahrgenommen habe, bevor es aufhörte. Da wusste ich, dass Grautaz tot war und sein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Und ich machte mich wieder klein.«
Darnamur seufzte und richtete sich auf. Sein Blick ging ins Leere. Gedankenverloren strich er sich über die Kleider, die zu einer stinkenden Masse erstarrt waren und an seinem Körper klebten.
»Als ich klein war, kriegte ich auch wieder Luft. Ich schwamm auf Grautaz' Blut, in seinem Schädel. Überall um mich trieben Klumpen und Fasern, die ich selbst vorher durchtrennt hatte. Erst jetzt erkannte ich die Verwüstung, die ich im Kopf des Unkwitt hinterlassen hatte. Aber das Blut floss ab, irgendwo durch die Ohren oder durch die Nase. Ich bin auf demselben Weg rausgekommen. Ich war halb betäubt.«
Er hob die Arme. »Ich lag auf dem Höhlenboden, und alles war verwüstet. Die Grotte zerschlagen, und der Hort verstreut. Überall lagen Trümmer, und ich dachte, gleich stürzt die Decke ein. Grautaz' Kopf lag neben mir in seinem erstarrten Blut, und auch an meinem eigenen Leib waren die Überreste des Unkwitt getrocknet.«
Darnamur sah Wito an und rang sich ein Lächeln ab. »Ich habe seither ein paar mal gebadet und meine Sachen ausgewaschen, aber wie du siehst, hat es nicht gereicht. Ich hatte nichts zum Wechseln dabei, und es war nie genug Zeit. Jedenfalls, als ich ein wenig Ruhe hatte, hab ich mir die eingestürzten Ausgänge noch mal angeschaut. Da der Unkwitt nicht mehr hinter mir her war, hatte ich etwas Ruhe und fand genug Spalten, durch die ich mich in meiner kleinen Gestalt hindurchzwängen konnte. Ich war eine ganze Weile in dem kleinen Gang unterwegs, durch den wir hereingekommen sind.
Na ja, kurz gesagt, ich kam an eine freie Stelle, und dort fand ich Daugrula ...« Er schaute Wito an, der wiederum nickte. »Ich kam gerade an, als dieser Gulbert und Sukan den Wichtel ausgegraben haben ...«
»Sukan!« Wito fuhr auf und blickte sich beunruhigt um. Darnamur legte ihm beruhigend die Hand auf das Bein. »Keine Sorge«, erklärte er. »Ich glaube nicht, dass wir Sukan hier sehen. Er würde niemals allein durch all die Gänge hier herunter finden. Aber lass mich der Reihe nach erzählen.«
Wito setzte sich wieder, und Darnamur stellte ihm die Truhe auf den Schoß, als wolle er seinen Begleiter damit festhalten.
»Jedenfalls, von da an hab ich mich den anderen an die Fersen geheftet. Ich wusste ja nicht, was mit euch los ist – ich dachte, ich wäre der Einzige, der diesen Gulbert noch aufhalten kann. Aber es war nicht leicht. Ich stank wie ein Trollfurz, und Gulbert und der Wichtel haben feine Sinne. Ich glaube, Gulbert rechnete mit Verfolgern, denn er war stets wachsam. Selbst in meiner kleinen Gestalt kam ich nicht näher als ein paar Schritte an ihn heran.«
Darnamur zuckte die Achseln. »Ich habe alles versucht. In meinem Gepäck war zumindest frische Leibwäsche. Ich meine, Wäsche, die sauberer war als die, die ich anhatte. Aber selbst wenn ich es nackt probierte – ein paar Schritte, und ich konnte spüren, wie Gulbert und Chaspard unruhig wurden. Also blieb ich auf Abstand und wartete auf eine Gelegenheit, wenn sie abgelenkt sind. Ich war dabei, als sie ihre Pferde wieder eingefangen haben ...«
»Pferde!«, rief Wito. »Deshalb konnten sie vor uns hier sein. Während wir uns auf der Abkürzung durchs Gebirge geschlagen haben, kamen sie mit Pferden über die Ebenen und Pässe natürlich rasch voran.«
»Allerdings«, bestätigte Darnamur. »Sie haben die Tiere rücksichtslos vorangetrieben. Gulbert hatte es wirklich eilig. Ich hatte mich zuerst beim Packpferd versteckt, in Käfergröße bei den Taschen. Das war weit genug weg, um nicht aufzufallen. Aber irgendwo in den Grauen Landen ist ihnen dann ein Pferd zusammengebrochen, und Gulbert ritt auf dem Packpferd. Von da an folgte ich ihnen zu Fuß. Der Felsen war schon in Sichtweite. Ich kam also kurz vor euch hier an. Gulbert und seine Spießgesellen steckten zu dem Zeitpunkt oben am Hang, wo sie euch schon von weitem sehen konnten.
Sie waren vorher bereits hier unten gewesen und hatten vergeblich versucht, zur Quelle zu gelangen. Der Wichtel erzählt ja gern von seinem Vorfahren, der die Truhe geklaut hat – aber er selbst bekam die Tür zu Leuchmadans Hort nicht auf. Also hofften sie, dass Baskon ihnen den Weg freimacht. Gulbert schickte Sukan hinter Werzaz her. Er selbst lauerte mit Chaspard in den Höhlen und folgte euch beiden dann. Er hat irgendeinen Zauber gewirkt, um nicht bemerkt zu werden; irgendwas, um das Licht seiner Lampe zu zerstreuen ...«
»Das Licht!«, stellte Wito fest. »Ich habe ein seltsames Licht gesehen. Ich dachte, es wäre eine normale Erscheinung in Leuchmadans Hort – so ähnlich wie die leuchtenden Adern hier unter der Decke. Oh verdammt, ich hätte Baskon davon erzählen sollen.«
»Baskon.« Darnamur spuckte aus, vage in Richtung der toten Rüstung vorne in der Höhle. »Gulbert hat darüber geredet, dass der Wardu die Welt anders wahrnimmt als wir. Er konnte Licht nicht sehen. Dich hat der Zauberer wohl nicht so ernst genommen ... Dabei war Baskon bis zum Schluss der Nutzloseste von uns allen. Er muss auch von den Pferden gewusst haben, denn er hat die anderen auf dem Pass gesehen. Trotzdem hielt er es nie für nötig, uns davon zu erzählen. Mach dir also keine Vorwürfe, dass du Baskon irgendwelche Informationen vorenthalten hast. Er hätte dich eher dafür geschlagen, als etwas Sinnvolles damit anzufangen.
Wie auch immer. Ich blieb hinter den beiden, denn nach hinten wirkte Gulberts Tarnzauber nicht. Und dann kamen wir hier unten an. Ich musste nur noch warten, bis der Wichtel vom Rockzipfel des Zauberers verschwindet und der Weg für mich frei ist. Als Gulbert seinen Sieg gefeiert hat, war er abgelenkt genug – ein schneller Stoß mit dem Messer, und die Thronfolge der Grauen Lande war wieder offen!«

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