Deleted Scenes

26. Kapitel: Frafas Abschied

Die letzten Szenen vor dem Epilog. Frafa verabschiedet sich von Biste und von Barsemias. Das Ganze dauert etwas länger als im Buch beschrieben: Sie wechselt noch ein paar Worte mehr mit dem Wichtel, und Barsemias versucht ein wenig eindringlicher, sie umzustimmen. Und Frafa antwortet darauf, indem sie noch einmal ausführlich beschreibt, wie es ihr in der Vergangenheit ergangen ist und was für Lehren sie daraus gezogen hat.
  Dieser Rückblick ist wohl der interessanteste Teil dieser Deleted Scenes, auch wenn der ein oder andere Leser sich das, was da geschehen ist, im Laufe des Buches schon selbst zusammenreimen konnte - aber hier noch mal ganz explizit und ausführlich: Alles, was Frafa seit dem “Tag der Messer” erlebt hat, und noch ein wenig mehr ...

next07»Kein Problem«, sagte die Stimme des Wichtels in ihrem Kopf. »Glaube ich.«
  »Komme ich hier durch den aufgerissenen Rumpf nach draußen?«, fragte sie.
  Frafa konnte sein Achselzucken in ihren Gedanken hören, und das war beinahe paradox. »Keine Ahnung. Wenn du gut klettern kannst und den Draht als Leiter verwendest ... Die Öffnung liegt drei Meter über dem Boden.«
  Frafa nickte vor sich hin. Das war zu schaffen. Sie hatte schon Schlimmeres geschafft.
  Sie bahnte sich einen Weg durch den aufgerissenen Trakt von Schlafkabinen. Biste war immer noch in ihrem Kopf, am Rande ihrer Wahrnehmung.
  »Wenn wir zurückkommen«, sagte sie, »dann musst du vorsichtig sein. Man wird es in der Union nicht gut aufnehmen, wenn du deine neuen Kräfte benutzt, um hemmungslos im Nexus zu stöbern. Mit Hilfe eines gestohlenen Kriegsschiffes.«
  »Wie du sagst«, antwortete Biste. »Ich bin ein Kriegsschiff. Kein kleiner Wichtel mehr, der sich von ein paar Kopfgeldjägern wegen entschlüsselter Bankdaten erpressen lässt. Ich komme zurecht.«
  »Du darfst nicht übermütig werden«, sagte Frafa. »Dein neuer Leib braucht Pflege. Und Wartung. Und eine Besatzung. Du kannst nicht mehr als Einzelgänger in einem stillen Kämmerlein untertauchen, wie der Wichtel es konnte.«
  »Ich habe einen Handel mit den Elfen geschlossen. Genau genommen verhandeln wir immer noch. Sie betrachten das Schiff als Kriegsbeute und wollen es nutzen und davon lernen - über die neuesten Waffen der Union. Wenn es zum Krieg kommt. Sie werden auf mich achten. War es nicht schon immer so zwischen Elfen und Wichteln?«
  Frafa kam an die Kante. Mit einem Stück Blech von einem Metallspind hebelte sie an einer Kante den Draht ab. Dann stieg sie hindurch, hangelte sich an der Außenhülle der Lichtbringer entlang und sprang das letzte Stück nach unten.
  »Trotzdem«, sagte sie. »Gib auf dich Acht.«
  »Auf mich, und auf alle Schurken, die das Äthernetz unsicher machen«, erwiderte Biste heiter. »Und mit Schurken meine ich Politiker, Verschwörer, korrupte Sicherheitsdienste und alle anderen, die uns wertvolles Wissen vorenthalten und die den Nexusschnüfflern das Leben schwermachen. Ich bin das Äthernetz-Patrouillenboot!«
  »Eher das Piratenschiff.« Frafa lächelte. »Ich hätte geglaubt, das riesige Nodusgehirn, an dem du jetzt hängst, hätte dich klüger gemacht.«
  »Ich bin, was ich bin«, sagte Biste. »Wie wir alle. Gib du auf dich acht, Frafa. Denn du hast mehr Feinde als ich, und auch mehr vor. Vielleicht treffen wir uns daheim mal zum Fachsimpeln im Nexus, wir Rebellen.«
  Es wurde still, und Frafa fühlte, dass Biste sich zurückgezogen hatte. Sie wusste nicht, wie viel er selbst von all den Dingen mitbekommen hatte, die sie im Nexus dieser Welt gesehen und vereinbart hatte. Doch andererseits, er war ein Nexusschnüffler mit Leib und Seele - er wusste vermutlich alles, was sie plante, auch ohne dass sie ihn eingeweiht hatte. Aber er sprach nicht davon, nicht einmal zu ihr, und dafür war sie dankbar.
  Sie trat von dem Schiff fort, fühlte, wie der magische Schirm sie umhüllte und freigab, und dann ließ sie den Schatten des riesigen Luftkreuzers hinter sich und trat hinaus auf die Schneise im Wald, die mit den niedrigen Mauern überzogen war, die sie zuerst für Ruinen gehalten hatten. Der Boden war immer noch aufgewühlt von der Schlacht des Vortages, aber die Wunde vernarbte schon. Pflanzen streckten sich über die Fläche und glätteten den Grund, Wände wuchsen empor und Ranken spannten sich über die Kanten, als erstes Gerüst für die künftigen Dächer.
  Frafa sah einige Elfen umherstreifen, größere Gruppen lagerten immer noch im Freien, außerhalb des Menschschiffes, aber sie übersahen die Nachtalbe nach Kräften. Frafa setzte sich auf eine der lebenden Mauern und wartete.
  ...
»Unsere Ahnen opfern sich erst in höchster Not, wenn unseren Wäldern nichts mehr bleibt als die Flucht. Aber in diesem Fall haben wir noch andere Möglichkeiten. Wir können Descidars Geständnis als Waffe verwenden. Allein in diesem Schiff stecken Dutzende tote Kinder! Wenn man erst einmal nachforscht, wie sie diese Kinder in ihr Heim gebracht haben, findet man bestimmt noch mehr schmutzige Geschichten. Wir machen das öffentlich, und egal, wie glatt Gulbert ist - dieser Skandal perlt nicht an ihm ab! Er ist erledigt, und das Nodus-Projekt noch dazu.«
  Barsemias hatte sich in Eifer geredet. Frafa sah ihn an und spitzte die Lippen. »Pssst«, sagte sie. »Wir sind noch nicht wieder zu Hause. Und was könnt ihr beweisen? Ihr könnt mit diesem geraubten Flugschiff kaum vor einem Unionsgericht einlaufen.«
  »Warum nicht?«, fragte Barsemias. »Wir haben das Schiff. Wir haben Descidar. Wir haben Namen und Orte von vielen Einrichtungen, die daran beteiligt waren. Wir haben den Nodus selbst als Beweismittel, und wir haben Biste, der förmlich darauf brennt, alles ins Äthernetz zu stellen. Wenn unsere Beweise da zu lesen sind, kann keiner mehr etwas vertuschen!«
  Frafa schüttelte den Kopf. »Gulbert ist glatter, als du denkst. Dieses Spiel treibt er schon länger, als du es dir überhaupt vorstellen kannst. Wenn er jetzt ein paar Flecken abkriegt, wird er untertauchen. Aldungans Parteigänger werden davon profitieren, und wenn Gras über die Sache gewachsen ist, dann kehrt Gulbert wieder zurück und alles geht von vorne los ...«
  »Nein!« Barsemias riss die Augen auf, und sein Griff wurde so fest, dass Frafa behutsam seine Hände von ihren Armen löste. »Niemand kann so etwas vergessen! Gulbert sind wir los, ein für alle Mal.«
  »Gulbert misst seine Pläne nach Jahrtausenden ab«, wandte Frafa ruhig ein. »Weißt du, was das unter Menschen bedeutet? Ich schon. Ich war selbst ein Teil von diesem Spiel.«
  Sie legte die Hände auf die Oberschenkel und fuhr leise fort: »Vor über neunhundert Jahren wurde Aldungan Herrscher in Falinga. Das Reich blühte auf, aber es war ein geborgter Wohlstand, überschüssige Lebenskraft aus einem magischen Artefakt, über ein Jahrtausend angespart und dann verschwenderisch verteilt. Aldungan zog sich bald zurück, und nach außen hin war ich die Herrin, als Kanzlerin über sein Reich. Bis, wiederum Jahrhunderte darauf, die geborgte Kraft versiegt war und das Land verödete.
  Falinga wurde nicht wieder zur Wüste, aber es wurde karg. Doch die Menschen hatten sich ausgebreitet und an den Wohlstand gewöhnt. Nun verödeten ihre Felder, die Siedlungen verarmten und Hunger und Armut befielen das Reich. Dieser Niedergang fiel in die Zeit meiner Herrschaft - und die Menschen gaben mir die Schuld. Und dann, auf dem Tiefpunkt der Entwicklung, kam Aldungan zurück. Er entließ mich und verbannte mich weit in den Osten, in die Provinz. So stand wiederum er an der Spitze, als es mit dem Land wieder aufwärtsging, als die Talsohle durchschritten war und die Gesellschaft sich an die neuen Gegebenheiten angepasst hatte. Die Menschen von Falinga hassten mich zu jener Zeit. Sie hätten mich tot sehen wollen. Ich hatte ein ganzes Reich in den Abgrund geführt, so hieß es.
  Doch das spielte keine Rolle. Alles war vorbereitet und abgesprochen. Aldungan gab mir kleine Posten an der Grenze, abseits der Aufmerksamkeit. Ich nutzte die Zeit, um meine Studien zu vollenden, denn ich hatte als Kanzlerin viel zu wenig Gelegenheit gefunden, meine Magie zu schulen. Die Zeit verging, und irgendwann kehrte ich nach Daugazburg zurück. Aldungan hatte neue Ämter und Aufgaben für mich, und die Menschen hatten mich vergessen. Mein Name war in die Geschichtsbücher gewandert, doch das Volk von Falinga brachte keine Gefühle mehr dafür auf. Die meisten Menschen, die ich traf, brachten meinen Namen kaum noch mit dem in Verbindung, was geschehen war. Die, die es taten, bewunderten mich beinahe dafür, weil ich in einer Zeit dabei gewesen war, die ihnen groß und wild erschien, wie ein Abenteuer. Und das waren die Nachfahren jener Menschen, die mich einst gehasst hatten. Denn seither waren Jahrhunderte vergangen, und die Leiden und Irrtümer der Vergangenheit berührten die Nachgeborenen nicht mehr.«
  Frafa schaute wieder auf und suchte Barsemias' Blick. »Heute spielen Gulbert und Aldungan dasselbe Spiel, wechselseitig. Du magst Gulbert treffen, doch irgendwann kehrt er zurück. So hell und weiß und unbefleckt vom Bart bis zu den Schuhen wie eh und je. Und wenn es Jahrhunderte dauert, was schert es ihn? Und das Blut der Erde lässt sich davon schon gar nicht aufhalten. Es wird weiter vordringen, selbst wenn Gulbert fort ist, und es wird die Elfenwälder verschlingen. Nein, Barsemias: Ein bloßer politischer Skandal rettet uns nicht. Am Ende werdet ihr das Heilmittel brauchen, das wir von dieser Welt mitbringen.«

next08

[Home] [Buch] [Leseprobe] [Deleted Scenes] [Paradies] [Abyssos] [Download] [Autor]