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18. Kapitel: Der Rat der Elfen

Nach den Geschehnissen auf dem Stein tagt der Rat der Elfen, um das weitere Vorgehen zu beschließen. In dieser Szene habe ich eine Menge Kleinkram gekürzt und sie insgesamt kleiner gemacht, ohne das wirklich ein größeres Stück fehlt. In erster Linie kann man sagen, dass die Elfen einfach weniger reden und vor allem kürzere Redebeiträge liefern.
  Das ausführliche Protokoll des Rates findet sich hier - als “Directors Uncut”, die ungekürzte Szene:

next07Sie wog bedächtig das Haupt. »Ich muss Becas Einschätzung zustimmen«, sagte sie. »Ein fruchtloses Unternehmen zu einem hohen Preis. Wir sollten es hiermit abschließen und in die sichere Bahn unserer Heimatwelt zurückkehren, ehe der Wald durch den Mangel an Licht und Wärme Schaden nimmt. Unser Hauptanliegen muss die Frage sein, wie wir Porfagilia wieder auf den Boden bringen, sicher vor unseren Feinden und unversehrt.«
  Barsemias hielt den Kopf gesenkt. Ledesiel warf ihm einen Blick zu und straffte sich. »Ganz im Gegenteil.« Ihre Stimme hallte klar durch die frostkalte Luft. »Diese Expedition hat uns die Wurzel allen Übels auf der Welt enthüllt. Uns bleibt gar keine Wahl mehr, als auch der anderen Spur zu folgen - der langen Fährte, von der Barsemias erzählt hat, die durch die endlose Leere bis zu dem Ort von Leuchmadans Herkunft führt.«
  »Leuchmadan.« Ebicos ergriff das Wort, ein weiteres Mitglied des Rates. »Immerzu höre ich Leuchmadan. Wir haben nichts weiter als einen Stein gefunden, gefüllt mit demselben Gift, von dem wir auch auf unserer Welt schon allzu viel haben. Wir haben nichts weiter herausgefunden, als dass es niemals einen Leuchmadan gab, sondern immer nur einen Stein, der vom Himmel fiel und von abergläubischen Finstervölkern als Gott verehrt wurde.«
  Ledesiel schaute den Elfen an, ein missbilligender Ausdruck auf ihrem elfenbeinweißem Gesicht. »Ebicos, hast du so wenig Respekt vor unserer Geschichte und unserer Kultur? Die Elfen bekannten sich zu Lucan, dem Sonnengott, doch sie verstanden schon immer, dass sich dahinter kein riesenhaft strahlendes Antlitz verbirgt, das vom Himmel zu uns herabschaut. Sie verehrten das Prinzip des Lichts, das uns Leben spendet, und Lucan ist nichts weiter als ein Symbol dafür.
  Warum sollte es mit Leuchmadan anders sein? Wer sagt, dass ein Gott eine Person sein muss, nicht nur ein Prinzip, eine Macht? Und dieses Ding hier hat Macht. Es ist kein Gott, keine Person - es ist nur ein Felsen. Doch die Flüssigkeit in seinem Inneren, die unsere Vorfahren Leuchmadans Blut nannten, die Finstervölker das Blut der Erde und die in modernen Zeiten als bloßes Thaumagel verharmlost und benutzt wird, ist Leuchmadan selbst.«
  Einen Augenblick lang herrschte Schweigen in der Menge, nur von einem gemeinschaftlichen Luftholen gebrochen. Es war wiederum Ebicos, der darauf das Wort ergriff, mit einem sarkastischen Tonfall in der Stimme.
  »Eine interessante Theorie: Ist jene schädliche Substanz, die vor Urzeiten von einem Meteoriten auf unsere Welt getragen wurde, der Ursprung aller Legenden um den finsteren Leuchmadan? Die Zauberer und Historiker mögen in Zukunft noch viel darüber diskutieren. Doch uns fehlt die Zeit dafür. Es hilft uns nicht bei den handfesten Fragen: wie wir den Boden unserer Welt davon befreien, beispielsweise.«
  »Es geht um mehr als um die Legenden und den Namen des Giftes«, sagte Ledesiel. »Es geht um seine Beschaffenheit und um die Ziele, die damit verbunden sind. Als ich auf jenem giftigen Stein stand, einem Bruchstück des Meteoriten, der einst als Leuchmadan auf die Welt fiel, da erkannte ich wie alles zusammenhängt.«
  Ledesiel sah wieder zu Barsemias, der die Worte seiner Schwester gebannt verfolgte. Barsemias war es gewesen, der dem Rat diese Expedition empfohlen hatte. Natürlich fühlte er sich für die Folgen verantwortlich, und natürlich wollte er, dass die Opfer gerechtfertfertigt waren. Doch Ledesiel war längst darüber hinaus, sich Gedanken um ihren Bruder zu machen. Inzwischen ging es um mehr, um das Schicksal der Welt und ihres Volkes.
  »Wir wissen«, sagte sie. »dass jene Substanz, die von diesem Meteoriten auf unsere Welt gebracht wurde, sich dort ausbreitet, sich von selbst vermehrt - wir selbst haben es erfahren und leiden bitter darunter. Lange Zeit war sie in einem Ring von Bergen gefangen, der erst vor dreihundert Jahren durchbrochen wurde. Doch vor kurzem haben wir erfahren, dass Leuchmadans Blut sich nicht nur von der bekannten Bruchstelle aus verbreitet, sondern überall, wo die Union Niederlassungen unterhält. Nach unserer Flucht, als wir hoch über der Welt schwebten, konnten wir die Aura der verseuchten Gebiete selbst auf der anderen Seite der Welt noch entdecken!
  Für mich deutet alles daraufhin, dass die Verseuchung von Bitan nicht nur die Folge eines zufälligen Bruches ist. Es steckt ein Plan dahinter. Oder zumindest ein Wille. Leuchmadans Blut will sich ausbreiten. Es will unsere ganze Welt verschlingen. Ebicos sagt, wir müssen uns nicht um Leuchmadan kümmern, weil er keine Person ist, nur ein giftiger Felsen. Weil er nicht denkt und nicht als greifbarer Gegner agiert. Aber spielt das wirklich eine Rolle? Selbst in der kleinsten Mikrobe wohnt der Wille zur Vermehrung, zur Ausbreitung. Leuchmadans Blut ist wie eine Krankheit, und in dieser Hinsicht ist es lebendig. Ein fremdes Leben, ein feindseliges Leben, das auf unserer Welt nicht heimisch ist - und damit ist es ein handfester Gegner, den wir nicht unterschätzen dürfen, den wir nicht nur indirekt bekämpfen müssen. Es ist die Wurzel allen Übels, die wir studieren und direkt angehen müssen!«
  »Leuchmadans Blut ist ein Problem, das leugnet niemand«, warf ein Ratsmitglied ein. »Doch es hat keine Hände, um sich einen Weg aus seinem Gefängnis zu graben. Es ist der Erfindungsgeist von Menschen und Finstervölkern, der es befreit und zu einer Bedrohung für unser Volk werden lässt. Wenn wir jetzt die Schuld dem Gift anlasten, wäre das nicht so, als würde man das Pferd schlagen, weil es den bewaffneten Reiter in unser Land getragen hat?«
  »Aber wer ist hier das Pferd, und wer der Reiter?«, fragte Ledesiel. »Wir wissen nicht viel über Leuchmadans Blut, aber wir wissen, dass es alles Leben verändert, mit dem es in Berührung kommt. Bei einer körperlichen Berührung tötet es, doch selbst tief unter dem Boden bewirkt seine magische Aura eine Wandlung, macht etwas Fremdes aus dem, was über ihm heranwächst. Eben darum empfinden wir es ja zum Gift. Wer sagt uns, dass diese Veränderung sich auf Form und Farbe und einige Details im Stoffwechsel beschränkt? Wer weiß, in welcher Weise es den Geist der Bewohner vergiftet?
  Selbst wenn wir Leuchmadan nicht als einen Gott oder eine Person betrachten, so ist auch ein bloßer Parasit oder eine Krankheit sehr wohl in der Lage, seinen Wirt zu steuern und seine Ausbreitung zu befördern. Wenn das Blut über die Grenzen strebt und sich ausbreiten will, und wenn sein mächtiges magisches Feld dieses Streben trägt, dann muss es unweigerlich auf die Völker wirken, die in seinem Schatten leben. Ich glaube, die jahrtausendelangen Kriege gegen die Finstervölker, ihr Wunsch, die Grenzen ihres Landes zu überwinden und über die Länder des Lichts herzufallen, waren von Beginn an nichts weiter als der Ausdruck des Giftes unter ihren Füßen. Doch erst in der modernen Zeit fanden sie die technischen Mittel, das Blut aus seinem Gefängnis zu holen und seinen Willen direkt zu erfüllen.«
  Der Gedanke wurde aufgegriffen. Ein Flüstern erhob sich im Rat und unter den Zuschauern, gemurmelte Unterhaltungen, die langsam ihren Weg durch die Reihen fanden und nicht mehr verstummten.
  »Doch was bedeutet das für uns«, wandte Solis sich an Ledesiel, »und für die Entscheidungen, die wir zu treffen haben? Ich höre deine Worte, aber ich finde keinen Weg darin, wie wir unsere Feinde anders bekämpfen könnten als bisher.«
  »Wir haben bisher keinen Weg gefunden, unsere Feinde zu bezwingen«, hielt Ledesiel dagegen. »Und wir kennen sie gut und bekämpfen sie seit Jahrtausenden. Heute sind wir schwächer denn je, und wenn wir diesen Kampf auf dieselbe Weise fortführen, sind unsere Aussichten geringer denn je. Aber Leuchmadans Blut selbst haben wir bisher noch gar nicht richtig betrachtet. Es wäre ein neuer Gegner, bei dem wir vielleicht noch eine unbekannte Schwäche und einen neuen Ansatz entdecken können.«
  »Wenn du recht hast ...«, murmelte Solis.
  »Es ist noch nicht einmal wichtig, ob ich in allem Recht habe«, sagte Ledesiel. »Ob Leuchmadans Blut nun Ross oder Reiter ist, ob es denkt oder nur ein Parasit ist oder doch nur ein Gift von eigentümlicher Beschaffenheit. Dieses Gift raubt uns das Land. Wenn wir einen Weg finden, Leuchmadans Blut zu vernichten, sind Gulbert und die Menschen und die Finstervölker vielleicht immer noch da und der Krieg wird weitergehen - doch ohne das Gift wird es wenigstens reine Wälder auf der Welt geben und ein Land, um das es sich zu kämpfen lohnt. Es ist also auf jeden Fall wichtiger, Leuchmadans Blut zu bekämpfen als die kleinlichen Gegner an der Oberfläche.«
  »Ah«, meldete Ebicos sich gedehnt zu Wort. »Aber was hat das mit weiteren gewagten Ausflügen unseres Waldes zu tun? Leuchmadans Gift können wir auch zuhause erforschen. Wie du selbst gesagt hast - es gibt dort genug davon.«
  »Es wird seit Jahrhunderten erforscht«, sagte Ledesiel, »Selbst von unseren Feinden, und sei es nur, um weitere Anwendungsmöglichkeiten für Thaumagel zu ergründen. Wir haben diese Forschung verfolgt, aber einen Weg, es aufzuhalten, konnten wir bislang nicht erkennen. Es ist nur vernünftig, es in seiner natürlichen Umgebung zu studieren. Wir können nur dort herausfinden, wie es entstand. Und auf der Welt, von der es kam, mag es ganz natürliche Antagonisten haben, die wir uns zunutze machen können. Auf unserer Welt finden wir zwar Leuchmadans Blut, doch nichts, womit wir es vergleichen und dadurch ergründen könnten.«
  »Mag ja sein«, erwiderte Ebicos mürrisch. »Aber dann sollten wir trotzdem andere schicken. Wir sind eine Siedlung, kein Forschungsschiff.«
  Ledesiel lächelte. »Als Barsemias vorschlug, ein Fragment von Leuchmadan aufzusuchen, da hattest du Angst, dass unser Wald einem übermächtigem Feind begegnet. Wir sind eine Siedlung, kein Kriegsschiff - und jetzt, wo dieser Feind sich als bloße Substanz erweist, von der man Abstand halten kann, fällt dir nur der alte Grund aufs Neue ein, damit wir uns drücken können?
  Wir Elfen haben weder Kriegs- noch Forschungsschiffe. Wir haben nur unsere Wälder. Und dieser Wald ist für eine solche Reise am besten gerüstet und in der besten Position, sie zu unternehmen. Ein Krieg droht, unser Land stirbt, und was bleibt, rückt immer weiter in den Norden und wird immer kärger und armseliger. Glaubst du, wir werden daheim eine bessere Expedition ausrüsten können?
  Nein, Ebicos, Solis - Rat und ihr Elfen von Porfagilia: Wenn wir jetzt nichts unternehmen, erwartet uns zuhause nur noch der Untergang. Unsere Feinde müssten uns nicht einmal angreifen. Es mag Jahrzehnte dauern, oder Jahrhunderte, doch das Ende ist unabwendbar: Auf einer Welt voll mit Leuchmadans Blut werden unsere reinen Waldinseln welken wie die Seerosen auf einem vergifteten Teich, und die Elfen werden schließlich vergehen.«

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