libelle_klein

Deleted Scenes

next0517. Kapitel: Im Folterkeller

Eine der Schlüsselszenen im Roman ist der Zeitpunkt, da Frafa ihren Geliebten Bleidan an dessen Arbeitsplatz besucht - als Aufseher im Folterkeller. In dieser Szene wird so einiges deutlich: Die Diskrepanz zwischen Bleidans politischen Idealen und der Realpolitik, zu der er sich gezwungen sieht, wie er von dieser Kluft zerrissen wird und von sich selbst entfremdet. Und umgekehrt wird hier Frafa desillusioniert, und anstatt seiner Warnung erreicht Bleidan hier das genaue Gegenteil und stößt Frafa damit weiter auf die “Nachtalbenseite”, als sie selbst es eigentlich möchte. Der Besuch im Folterkeller ist ein Wendepunkt, der einiges von den Unglücken in Bewegung setzt, unter der die Figuren später noch zu leiden haben werden.
  Was man hier in der Deleted Scene findet, sind ein paar weitere Erklärungen von Bleidan zu den Zusammenhängen und zu seinen Gefühlen ... aber auch noch ein paar weitere Beschreibungen aus dem Folterkeller. Das habe ich im Buch gelöscht, weil ich mir dachte, es reicht auch so.

... Auf dem Boden hatte sich bereits eine schmierige Schicht gesammelt. Ein Geruch nach Fäulnis stieg auf, und Schimmel spross auf den schleimigen Überresten.
  Der Goblin an der Kette hielt die Albe an einer Stelle, so dass die Dornen ein tiefes Loch in ihren Oberschenkel fraßen. Dann schob er sie zurück und senkte ihr Gesicht in den Folterapparat. Das Wimmern erstickte, aber die grässlichen Wunden am Bein heilten schon wieder.
  Frafa blieb stehen und klammerte sich am Türpfosten fest. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, und sie wandte sich ab.
  ...
  Frafa sah zu, wie es unter der Haut des Gefolterten zuckte und die Knochen schief zusammenwuchsen. Verdickte Stellen an den Gliedmaßen verrieten weitere schlecht verheilte Brüche. Der Alb war so entstellt, dass er kaum noch zu erkennen war. Wenn man ihn jemals losband, würde er sich nicht mehr bewegen können.
  Bleidan führte sie weiter durch die tiefsten Kerker im Haus der Schreie. Er zeigte Frafa Kammern, in denen Fässer mit blubbernder Säure standen, Kohlebecken und große Zangen, Sägen und scharfe Klingen; Apparaturen mit Schneiden und Spitzen und Steingewichten.
  ...
  »Kann man nicht?« Bleidans Stimme klang trocken. »Du hast Saira und Tartanis erwähnt. Das ist eine sehr alte Geschichte. Aus den Tagen, als die Alben derlei Dinge nicht aus Notwendigkeit taten, sondern zum Spaß. Oder um den Schmerz zu studieren. Oder aus gar keinem Grund.Du hast dir romantische Geschichten aus dem alten Daugazburg als Vorbild genommen – ich zeige dir hier die Wirklichkeit. Saira und Tartanis haben einander Ungeheuer geschickt, um ihre Liebe auf die Probe zu stellen. Aber warum? Weil sie Alben waren und weil sie an solche Geschehnisse gewöhnt waren.
  Ist das die Tradition der Nachtalben, nach der du dein Leben führen willst? Dann nimm am besten ein paar von meinen Gefangenen mit, damit du auch den Rest des Tages Saira und Tartanis spielen kannst.«
  Frafa schüttelte den Kopf. Bleidan sah sie an. »Du ... lebst so«, flüsterte sie schließlich, und Bleidan zuckte zusammen.
  ...
  Er fasste sie bei der Hand und führte sie aus dem Kerker hinaus. Sie gingen den Gang entlang, und Frafa schloss die Augen, um nichts mehr zu sehen.
  Da spürte sie eine Bewegung neben sich. Ein Goblin sprang aus der ersten Kerkerzelle. »Meister Bleidan!«, rief er. »Das müsst Ihr Euch ansehen!«
  »Was?«, fragte Bleidan.
  Er folgte dem Goblin in den Kerker mit der eisernen Nagelwalze, und Frafa ging ihnen widerstrebend nach. Die Albe wimmerte immer noch. Sie hing jetzt ein Stück über dem Gerät, und Blut und Tränen flossen ihr aus dem geschundenen Gesicht. Frafa wandte rasch den Blick ab. Da sah sie, wie der Goblin eine Fidel und einen Bogen aus einem Winkel holte.
  Sie blinzelte ungläubig. Bleidans Gesicht war starr und ausdruckslos. Die drei Folterknechte grinsten.
  »Hört mal, Meister Bleidan«, sagte der Goblin. Er strich mit dem Bogen über die Fidel. Ein wimmernder Ton erklang. Dann zog er eine Saite straffer, und der Ton wurde schriller.
  Zugleich drehte der Goblin, der die Ketten führte, an einem Rad, mit dem er die Gliedmaßen seiner seiner Gefangenen auseinanderziehen konnte. Er ließ die Albe wieder hinab, und der verbliebene Goblin an der Walze kurbelte. Der Goblin an den Ketten ächzte vor Anstrengung. Er zog den Leib der Albe mit den Ketten so in die Länge, dass ihre Knochen knackten – und gemeinsam mit seinem Kumpan an der Kurbel schaffte er es, der Gefangenen ein schrilles Wimmern zu entlocken.
  Die drei Folterknechte lachten.
  »Seht Ihr, Meister Bleidan«, sagte der Goblin mit der Fidel grinsend. Er legte das Instrument wieder weg. »Das haben wir entdeckt. Man kann auf der Rotzschnecke spielen wie auf einer Fidel.«
  »Ihr ...«, stotterte Frafa halblaut. »Ihr seid so ...«
  Bleidan legte ihr die Hand auf den Arm. »Lasst diesen Unsinn«, sagte er tonlos zu den Goblins. »Ihr werdet die Gefangene noch umbringen, und dann hängt ihr an den Ketten. Tut Eure Pflicht und unterlasst alles, was nicht von mir gebilligt wurde.«
  Die Goblins verzogen das Gesicht. Murrend trat der dritte Folterknecht wieder an die Walze, und Frafa hörte das Schnurren und Reißen, während sie hinausgingen. Kurz darauf lachten die Goblins hinter ihnen schon wieder.
  Bleidan atmete schwer. »Die Albe in dieser Kammer«, sagte er leise, als sie weitergingen, »hat oft um ihren Tod gefleht. Als sie noch sprechen konnte. Sie schwor, dass sie gar kein magisches Herz hätte, dessen Versteck sie uns verraten könnte. Sie habe sich mit Heilmagie befasst und Zauber in ihren Leib gewoben, die jede Wunde heilen. Und deshalb, so hat sie immer behauptet, sähe es nur so aus, als verfüge sie über ein magisches Herz, das ihre Wunden schließt.
  ...
  »Es ist schwierig, Frafa«, fuhr Bleidan nach einer Weile fort. »Ich habe es dir gesagt. Selbst die Goblins hatten Respekt vor meiner Aufgabe. So sehr die Völker im Rat auch untereinander entzweit sind, in dieser Sache sind sie sich alle einig: die Gnome und die Goblins, die Menschen und selbst die Alben aus meiner eigenen Vereinigung. Keiner will, dass die alten Fürsten zurückkehren.«
  »Sind sie so mächtig?«, fragte Frafa. »Aber dann könnt ihr sie ohnehin nicht für alle Zeit niederhalten. Der Umsturz liegt viele Mondläufe zurück, und sie halten immer noch stand. Sie haben ihr magisches Herz, ihre Macht nicht verraten. Wenn sie gegen die gnadenlose Folter ankämpfen können, werden sie eines Tages auch den Rat und die Gnome überwinden.«
  »Ich glaube nicht«, sagte Bleidan. »Ich glaube nicht.« Seine Stimme erstarb.
  Sie traten hinaus in das helle Sonnenlicht auf dem Platz, kniffen die Augen zusammen und suchten rasch den Schatten der hohen Mauern. »Warum nicht?«, fragte Frafa schließlich.
  »Die Gnome haben viele Fürsten festgenommen. Nur ein halbes Dutzend davon ist noch am Leben.«
  »Das müssen die Stärksten sein«, warf Frafa ein. »Umso gefährlicher sind sie. Und wenn du sagst, dass ein einziger von ihnen ...«
   »Am Anfang mögen es die Stärksten gewesen sein«, erwiderte Bleidan. »Ihre Macht hat ihnen Hoffnung verliehen. Aber diese Hoffnung wurde ihnen zum Verhängnis. Sie haben so lange durchgehalten, bis ihr Geist gebrochen war. Ich bin davon überzeugt, selbst wenn wir jetzt die Folter einstellten, wären sie zu keinem Zauber mehr fähig. Ihr magisches Herz hält sie am Leben, aber sie haben keine Ziele mehr, sie können keinen neuen Gedanken fassen. Sie haben sich selbst vergessen.
  Ich glaube, inzwischen sind sie alle so verloren wie die bedauernswerte Albe in der ersten Kammer. Sie können ihr magisches Herz nicht mehr verraten, weil sie nicht mehr daran denken. Sie sind lebende Tote, zu einem endlosen leeren Dasein verdammt, weil sie nicht sterben können. Solange nicht jemand einen Weg findet, den Strom an Lebenskraft zu durchschneiden, der sie nährt.«
  ...
  Das neue Daugazburg, Frafa. Ich kann das nicht aufs Spiel setzen, nur um ein paar alte Fürsten zu retten.«
  Frafa hörte seine Worte, aber sie erreichten nicht ihr Herz. Das war noch voll von den Dingen, die sie im Haus der Schreie gesehen hatte. Sie verließen die Zitadelle wieder und gingen durch die Stadt nach Hause. Irgendwann unterwegs meldete Bleidan sich noch einmal zu Wort.
  »Saira und Tartanis«, sagte er unvermittelt, und seine Stimme klang müde. »Im Grunde glaube ich, dass die Alben niemals so waren. Saira und Tartanis sind nur Gestalten aus irgendwelchen Geschichten. Es war niemals die Wahrheit.
  Die Alben der alten Tage haben diese Geschichten nicht erzählt, weil sie wirklich so gedacht haben. Sie haben sich die Geschichten erzählt, weil sie so hart sein wollten, dass sie den Schmerz ihres Daseins nicht mehr spüren. Sie wollten umarmen, was ihnen aufgezwungen worden war, damit sie die gnadenlosen Kämpfe in den Grauen Landen und die Taten, zu denen sie getrieben wurden, nicht als Zwang und Gefangenschaft empfinden mussten.«

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