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Auf der Elfenfestung Keladis stoßen die Gnomenspäher in einer Seitenkammer auf zwei Wichtel, die ihnen beinahe zum Verhängnis werden. Doch was wollten die Wichtel dort, und wie kamen sie dorthin? Nun, hier steht es ...

next05»Nein«, sagte Chaspard der Wichtel zu seinen Gefährten. »Es ist eine geheime Versammlung. Gulbert nimmt mich mit, aber ihr dürft uns nicht begleiten.«
Sebir, der jüngere seiner beiden Gehilfen, machte ein langes Gesicht. Aber Chaspard fuhr fort:
»Und das ist auch besser so!« Er grinste. »Denn während der feine Rat abgelenkt ist, gibt es etwas anderes, was ihr besorgen könnt ...«

Sebir schlich den Korridor entlang. Plötzlich fühlte er sich von hinten gepackt und in einen Türdurchgang gezerrt. Er erstarrte, verharrte reglos, während ein Elf mit einem Tablett in der Hand vorbeihuschte.
Dann wandte er sich um. Gredin, Chaspards älterer Handlanger, stand hinter ihm und legte den Finger auf den Mund. Gredin nickte. Elfen hatten scharfe Ohren.
Die beiden Wichtel spähten links und rechts den Flur entlang, dann huschten sie weiter. Immer mehr elfische Bedienstete eilten vorüber, trugen Getränke in den großen Versammlungssaal des Freien Rates oder brachten Geschirr nach draußen. Die Wichtel nutzten jede Deckung, manchmal kauerten sie sich nur in einem dunklen Winkel zusammen und zogen den Kopf unter einen Umhang, und die elfischen Diener liefen an ihnen vorbei und bemerkten sie nicht.
Wichtel bewegten sich lautlos, wenn sie wollen – und das große Volk übersah sie, wenn man ihm nur die Möglichkeit dazu ließ.
Vorsichtig spähte Sebir durch den Torbogen. Dahinter hörten sie laute Stimmen, die wild durcheinandersprachen und sich stritten. Sebirs Blick streifte kurz die Elfen, Zwerge, Menschen und den Zauberer, die um den großen runden Tisch saßen. Dann blickte er zu der Wand, die gleich an die Tür anschloss.
Schon zerrte Gredin wieder an seinem Wams und wollte sich an ihm vorüberdrängen, und eine stille Rauferei entspann sich ... Bis wieder ein elfischer Aufträger auf die Tür zuhielt und beide Wichtel eilig in die Nische neben der Tür zurückweichen mussten.
Dort bedachten sie sich wechselseitig mit grimmigen Blicken, bis die Gefahr vorüber war. Dann liefen sie gebückt an der Wand entlang – und da war sie: Die geheime Tür, von der Chaspard ihnen berichtet hatte. Sie war erst sichtbar, als die beiden Wichtel unmittelbar davor standen, und selbst dann wäre Sebir in seiner Eile daran vorübergelaufen, hätte Gredin ihn nicht zurückgehalten.
Gredin prüfte den Türknauf, aber natürlich war die Schatzkammer des Rats abgeschlossen. Die beiden Wichtel drückten sich tiefer in die getarnte Nische, die die Tür verbarg und nun auch sie selbst. Gredin schlug seine Weste auf, und eine ganze Reihe von Werkzeugen wurde sichtbar, einzeln in passende Futterale am Innenfutter untergebracht. Der Wichtel holte sie hervor und machte sich an dem Schloss zu schaffen, während Sebir mal den Saal im Auge behielt, mal ungeduldig seinem Gefährten über die Schulter schaute.
Dann schwang die Tür auf. Gredin drückte sich durch den Spalt, und Sebir folgte ihm mit einem letzten Blick zurück.
Die Kammer dahinter war dunkel, lang gezogen und so vollgestellt, dass selbst Wichtel sich kaum hindurchzwängen konnten. Lange Schränke mit Schubfächern säumten die Wände, auf offenen Regalen standen Kunstwerke, Waffen und Artefakte aller Art. Größere Objekte füllten den Raum dazwischen, zum Schutz vor Staub mit Leintüchern verhangen.
Die Schatzkammer des Rates der Freien, angefüllt mit Zuwendungen und dem Beutegut aus tausendjährigem Krieg!
Gredin wies zur linken Seite und wandte sich selbst der rechten zu. Systematisch arbeiteten sie sich an den Schränken entlang, öffneten Schubfächer und suchten nach kostbarem Schmuck und Gemmen – nach allem, was klein und teuer war und sich leicht mitnehmen ließ.
Gerade wollte Sebir sich den verhüllten Gegenständen in der Mitte des Raums zuwenden, weil er in einigen der Umrisse große Schatztruhen zu erkennen glaubte, da vernahm er von der Tür her ein leises Geräusch. Er blickte auf.
Von draußen aus der Halle klangen gedämpft die Unterhaltungen der streitenden Ratsmitglieder, die Schritte der elfischen Bediensteten hallten über das Parkett. Doch da war noch mehr, in der Nähe, aber kaum wahrzunehmen ...
Zögernd trat Sebir näher an die Tür, den Kopf lauschend vorgestreckt. Hinter einem verhüllten Garderobenständer, der über ihm aufragte wie ein menschliches Gespenst mit allzu vielen Armen, hielt er inne und spähte vorsichtig um seine Deckung herum.
Entsetzt beobachtete er, wie Tür langsam weiter aufschwang!
Er schaute in den Raum, wo er schattenhaft seinen Gefährten sah, der sich immer noch zwischen den Stücken der Sammlung bewegte. Schaute wieder zur Tür, wo nun das hagere Gesicht eines Elfen sichtbar wurde. Was sollte er tun? Er konnte ja nicht einmal einen Warnruf ausstoßen!
»Was ist denn hier ...«, hörte er den Elfen fragen.
Sebir wich weiter hinter den Garderobenständer zurück.
»Hm?«, hörte er Gredin. Verzweifelt legte Sebir den Finger auf die Lippen, aber natürlich bemerkte sein Begleiter nichts von dieser Geste. »Hast du die Steine?«, flüsterte Gredin ein wenig lauter.
Da warf Sebir sich gegen den Garderobenständer und ließ ihn geradenwegs auf den Elfen zukippen. »Gredin«, rief er halblaut in das Gepolter hinein. »Wir müssen weg!«
Wenn sie schnell waren, konnten sie in dem Durcheinander möglicherweise entkommen.
Aber da rollten auch schon die Becher vom Tablett des Elfen in den Sitzungssaal, viel zu laut und so lange, als wollten sie ihre Botschaft persönlich bis zum runden Ratstisch tragen. Und der Elf, der mit dem Kleiderständer rang, lag in dem Türspalt, und Gredin zögerte zu lange ... und dann war es zu spät.


Als Gulbert gegangen war und seine drei Wichtelbegleiter allein in den Gastgemächern zurückblieben, wandte Chaspard sich an seine Handlanger.
»Gredin«, sagte er. »Ich bin enttäuscht von dir. Das war nun wirklich keine schwere Aufgabe, und eine einmalige Gelegenheit noch dazu. Bei dem ganzen Streit in der Halle hätte es für ein paar anständige Wichtel nicht schwer sein sollen, unbemerkt in die Schatzkammer zu kommen und mitzunehmen, was auch immer ihnen in den Sinn kommt.«
»Es waren ja nicht nur die Ratsmitglieder da«, verteidigte sich Gredin. »Überall liefen auch noch diese Bediensteten herum. Du ahnst ja gar nicht, wie schwer es war, überhaupt bis in die Schatzkammer vorzudringen.«
»Ach ja«, sagte Chaspard. »Arglose Elfen, die sich in Sicherheit fühlen und uns alle für Verbündete halten. Das war wirklich die furchtbarste Herausforderung, der wir uns je gegenüber sahen!«
Beißender Spott klang aus seiner Stimme, und Gredin senkte beschämt den Kopf.
»Wir sind ja auch an den Dienstboten vorbeigekommen«, warf Sebir ein. »So dumm sind wir nicht. Sie haben uns erst in der Schatzkammer erwischt.«
Chaspard wandte sich ihm zu, und Gredin fiel ein, dass sein Einwand möglicherweise nicht zu seinen Gunsten sprach.
»Man fragt sich doch«, sagte Chaspard, »wie sie euch dann in der Kammer bemerken konnten, hinter dicken Mauern und Türen.«
Gredin wies anklagend auf seinen jüngeren Gefährten: »Nur weil dieser Tölpel die Tür nicht hinter sich geschlossen hat. Ich könnte schwören, keiner dieser Elfen hat uns bemerkt – sie haben die halb offene Tür gesehen!«
»He!«, rief Sebir. »Ich hab die Tür nicht aufgemacht! Du hättest sie selbst wieder zumachen sollen, wenn dir das so wichtig war.«
Chaspard schüttelte den Kopf. Er sah wieder seinen älteren Handlanger an. »Du warst verantwortlich, Gredin«, sagte er. »Sebir lernt erst noch. Aber die Weiße Rose! Der Kristallstern! Lucans Blutstropfen! In dieser Schatzkammer ruhen einige der bedeutsamsten Edelsteine der Welt, so groß und berühmt, dass sie sogar eigene Namen haben. Und dazu noch die all die namenlosen Diamanten, Smaragde, Rubine – und dies hier war unsere einzige Gelegenheit, daran heranzukommen. Und stattdessen muss nun Gulbert bei den ganzen Fürsten und dem Elfenkönig Süßholz raspeln, um sie abzulenken und den Verdacht von uns abzulenken.
Eure Dummheit hat mich heute ein größeres Vermögen gekostet, als ich in all den Arbeitsjahren bisher angesammelt habe.«
»Ach was.« Sebir winkte ab. »Wir sind einmal drin gewesen – wir schaffen es nochmal. Wenn dieser Coup, für den der Weißbart dich angeheuert hat, hinter uns liegt und hier wieder Ruhe einkehrt, dann kehren wir zurück.
Denn es gibt keine Mauer, kein Schloss und keinen Wächter, die einen Wichtel aufhalten könnten. Nicht wahr?«

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