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Leseprobe

next051. Kapitel: Von neuen Ideen und altem Gebein

Etwas ändert sich in Daugazburg. Treffpunkte entstehen in der Stadt, neue Orte und neue Formen der Geselligkeit. Die Leute reden über Politik. Völker machen sich Gedanken über die Rolle, die sie in den Grauen Landen spielen. Und es bilden sich Zusammenschlüsse jenseits von Sippe und Volk.
  Das liegt nicht nur an den Wirren nach Leuchmadans Verschwinden, nicht an dem unvermittelt beendeten Krieg, dem Abzug der Verbündeten.
  Neue Ideen liegen in der Luft. Es ist ein Aufbruch in eine neue Zeit. Die Entwicklung ist unumkehrbar. Was auch immer in den nächsten Jahren geschehen wird: Daugazburg wird nicht mehr dieselbe Stadt sein wie zuvor. Eine Rückkehr der tausendjährigen Herrschaft der Fei wird es nicht geben, und selbst die Herrin wird sich bewegen müssen und dem Wandel folgen.

Bleidan, der Nachtalb,
Rede in der politischen Vereinigung der »Freunde des Fortschritts«

Im Silbermond 40 nLR – Spätsommer in Daugazburg

Frafa, die Nachtalbe, trug ein Taschentier auf der Schulter und einen Korb am Arm und versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Unwillig warf sie den Kopf zurück, so dass ihr schwarzes halblanges Haar nach hinten flog. Die Echse schrak auf und kletterte an ihr herum. Frafa hasste Menschen, diese groben und stinkenden Sklaven, und hier gab es so viele davon!
  Frafa war früh aufgebrochen, um als Erste auf dem Zollmarkt vor der Stadt zu sein. Jetzt steckte sie in der Menge fest, ehe sie auch nur den Drauzwinkel erreicht hatte.
  Auf dem Platz stand eine Hinrichtung bevor. Sie hatte davon gehört. Es ging um kleines Volk, um Gnome. Frafa hätte im Traum nicht damit gerechnet, dass sich das neugierige Pack deswegen bis in die Gassen hineindrängte. Sie blickte nach oben. Die Brücken und Galerien waren ebenso überfüllt. Ob sie umkehren sollte, um die Stadt durch ein anderes Tor zu verlassen? Das würde länger dauern als die ganze Hinrichtung.
  Frafa drängte weiter vorwärts. Einem Menschen, der nicht beiseiterücken wollte, stieß sie den spitzen Ellbogen ins Auge. Das Taschentier an ihrem Ohr zischte, und Frafa zuckte zusammen. Die Menge schloss sich dichter um sie. Der Korb wurde ihr so fest an den Leib gepresst, dass der Bast krachte. Frafa spürte, wie Balgir das Taschentier den Schwanz um sie ringelte und sich fester anklammerte.
  Die meisten der Menschen um sie her trugen eiserne Halsringe. Es waren Sklaven, zu gering von Rang, um sich einen besseren Platz vorne im Drauzwinkel zu erkämpfen. Sie reckten sich und stellten sich auf die Zehenspitzen, sie blinzelten in die zunehmende Dunkelheit zwischen den hohen Türmen von Daugazburg und hatten doch keine Aussicht, irgendetwas von dem Ereignis mitzubekommen, um dessentwillen sie hergekommen waren.
  Sie sind nur hier, um mir im Weg zu stehen, dachte Frafa.
  Flinke Kobolde huschten zwischen den Beinen der Menschen hindurch, und Frafa trat nach ihnen.
  Sie hielt den Korb so vor den Bauch, dass der Griff wie zufällig Balgirs Schwanz einklemmte. Das tat sie so lange, bis das Taschentier auf ihrer Schulter lauter zischte und die Krallenfüße durch den Stoff in ihre Haut bohrte. Dann machte sie sich Sorgen um ihre Ohren und achtete darauf, das Tier nicht länger zu reizen. Sie wusste genau, Balgir hasste sie, und das zahlte Frafa ihrem Vertrauten nach Kräften heim.
  Die Dunkelheit um sie her wurde dichter. Schatten krochen höher und höher an den Türmen empor und verschlangen das rote Abendlicht. Die lächerlich hellen Menschenaugen glänzten in der Dämmerung. Frafa roch Angst und Wut in der Menge. Es wurde schlimmer, je näher sie dem Drauzwinkel kam, aber entschlossen schob sie sich voran.
  Hinrichtungen fanden bei Sonnenuntergang statt. Danach würde die Menge sich rasch zerstreuen. Bis es so weit war, wollte Frafa den Platz erreicht haben, damit sie nicht in den schmalen Straßen von der davonflutenden Menge mitgerissen wurde.
  Plötzlich schlossen sich grobe Finger um ihren Arm. »Eine kleine Nachtalbe, so ganz allein hier unten«, murmelte eine Stimme dicht neben ihr.

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