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Im Buch ist es nur ein wenig Lärm im Hintergrund - hier erfährt man genauer, wie der Unkwitt sich das Kästchen holt:

next05Die kleine Schar folgte einem Pfad, der dicht an einem Bach entlanglief und mitunter mitten hindurch. Sie waren abgesessen, denn Zweige hingen über den Weg, und unten griff das Unterholz nach den Hufen der Pferde. Also führten sie die Tiere am Zügel.
Während Sukan sich immer wieder krachend einen Weg durchs Gehölz bahnen musste, bewegte allein Perbias sich so elegant wie immer. Als Bellacris hinter ihnen platschend und gurgelnd durch den Wasserlauf watete und lauthals zu schimpfen begann, kniff Perbias missbilligend die Augen zusammen.
»Wollt Ihr nicht euren Bart hochstecken, Zwerg?«, fragte er über die Schulter zurück. »Dann müsstet Ihr nicht immer so viel Sorge haben, dass er im Wasser schleift.«
Sukan lachte auf. »Der Zwerg hat seinen Bart doch so gut gefettet wie eine Ente ihr Gefieder. Da perlt alles ab.«
»Der?«, schimpfte Bellacris. »Ich bin eine Thane des Zwergenkönigs und eine Dame von Stand.«
»Und wenn Ihr Euch noch so aufdringliche Duftöle in Euren Bart schmiert«, sagte Perbias, »so werdet Ihr doch eher meine empfindliche Nase damit ausbrennen als den Fürsten davon überzeugen, dass sich hinter einer solchen Gesichtsbehaarung eine Dame verbirgt.«
»So?«, erwiderte Bellacris ätzend. »Wenn bei den Menschen der Bart ein Maß für die Männlichkeit ist, dann frage ich mich doch, was der Fürst in dieser Hinsicht aufzubieten hat. Ob seine Männlichkeit wohl auch der Länge seines Gesichtsflaums entspricht, bei dem man nicht sagen kann, ob es ein Schnurrbart oder nur ein paar überlange Nasenhaare sein sollen?«
Bellacris lachte, aber da fuhr Gulbert sie von vorne in ungewohnter Schärfe an.
»Still!«
Die Gefährten marschierten einen Augenblick schweigend weiter, dann sagte Sukan: »Fahrt mich nicht so an, Gulbert. Ich bin kein Handlanger.«
»Pssst«, flüsterte Gulbert. »Hört, die Vögel sind verstummt!«
Sukan verdrehte die Augen. »Wir sollen still sein, damit Ihr die Vögel besser hört?«
»Der Geruch des Zwergen muss sie vertrieben haben«, murmelte Perbias.
»Zwergin.«
Dann waren sie still, genau wie der Wald um sie her. Jetzt verspürte auch Sukan eine schwer greifbare Bedrückung, als hätte das Schweigen ein Gewicht bekommen und sich wie eine Decke von Blei über sie alle gelegt.
Als Gulbert auf einen Einschnitt im Unterholz wies, folgten sie ihm alle ohne Widerspruch. Sie bewegten sich auf einem Wildwechsel vom Bachlauf fort, und die Baumkronen schlossen sich über ihnen dichter zusammen. Es wurde dunkler. Selbst Sukan trat unwillkürlich leiser auf, obwohl das Unterholz bald spärlicher wurde und es unwahrscheinlich schien, dass eine Bedrohung ungesehen an sie heranschleichen konnte.
Aber es war ruhig, viel zu ruhig, und der Wald um sie her wirkte wie ausgestorben.
»Ich spüre nichts, auch nicht mit meinen magischen Sinnen«, flüsterte Perbias hinter ihm. »Aber etwas daran stimmt nicht. Es ist eine unnatürliche Leere in meiner Wahrnehmung, nicht so, als wäre dort einfach nichts. Mehr so, als würde etwas ...«
Der Himmel über ihnen flammte auf, und ein Regen feuriger Blätter ging auf sie nieder. Es brauste und knackte, Äste und ganze Baumkronen krachten überall zu Boden. Einer der Wichtel schrie auf, und Gulbert brüllte: »Hier entlang! Hier entlang!«
Sukan zerrte am Zügel seines Pferdes, das sich aufbäumte. Er sah sich um, konnte kaum noch seine Begleiter erkennen zwischen den bitteren Flocken, die mit einem Mal die Luft erfüllten.
»Der Unkwitt«, hörte er Perbias Stimme. »Der Unkwitt ist über uns.«
Sukan nahm den Zügel in die Linke, zog mit der Rechten das Schwert. Und dann riss Rosario sich vollends los und verschwand in der Wolke von Glut und Grau.
Neben ihm fielen Flammen wie ein Vorhang vom Himmel. Kurz sah Sukan darin die Silhouetten der Bäume. Im einen Augenblick zeichneten sie sich ab, krümmten sich wie verformte Gerippe, vergingen. Das Licht ließ allerdings auch seine Kameraden deutlicher hervortreten, und Sukan schloss sich der Gruppe an.
Er sah Bellacris, die hinter dem Pony hereilte. Doch von oben stieß ein riesenhafter Kopf herab, ein Maul voller Zähne klaffte und schlug mit einem Schnappen über der Zwergin zusammen.
Dann schien der Drache überall zu sein. Seine Flügel wölbten sich über dem Trupp, sein Leib füllte den Wald, entwurzelte Bäume, während sein Flammenstrahl breite Schneisen schnitt und alles zu Asche verbrannte.
Die Gefährten sprangen zur Seite. Sukan sah nur noch die Gestalt eines einsamen Wichtels, der wie erstarrt stehen blieb, den Kopf angehoben, auf den Drachen gerichtet. Dann war der Unkwitt bei ihm. Sukan sah eine Klaue aufblitzen, dann verschlang der Schatten des Drachen alles andere.
Mit einem Kampfschrei machte Sukan kehrt und hob das Schwert. Der Unkwitt wandte beiläufig das Haupt, und eine Wolke von Flammen schlug dem Fürsten entgegen. Er ließ sich fallen, spürte Schmerz im Gesicht. Der Schwertgriff entglitt seinen Fingern, und Sukan tastete blind zwischen den glühenden Hölzern.
Und dann wurde es wieder still.
Sukan blinzelte, aber Tränen trübten seinen Blick. Er hörte eine neue Stimme, fremd, ruhig, aber so machtvoll, dass sie die ganze, frisch ausgebrannte Lichtung im Wald erfüllte.
»Gulbert«, sagte der Drache. »Schön, dass du mal wieder vorbeischaust. Ich habe gehört, du hast mir etwas mitgebracht. Von den d’oeuvres abgesehen, meine ich ...«

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