|
Lyrnathas, »die Stadt ohne Tod«, liegt geborgen in einer Windung des Grünen Orismani, schon halb verschlungen vom Pardir-Dschungel. Von der Einwohnerzahl her ist Lyrnathas nur eine Kleinstadt, überdeckt aber eine erstaunlich große Fläche und wuchert immer weiter, wie ein Geschwür, in unregelmäßigen Ausläufern und mit immer schäbigeren Stadtvierteln und fadenscheinigeren Erweiterungen der Mauer. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis Lyrnathas schließlich den Gefahren der im Norden angrenzenden Savanne oder des von Süden heranbrandenden Urwalds erliegen wird ... Was an der Kraft dieser Stadt zehrt, ist ein seltsamer Brauch: Seit die Stadt vor ca. 250 Jahren von den Draydal besetzt war, leugnen die Bürger den Tod schlichtweg, und von den kenntnisreichen Neristu einbalsamiert, existieren die Toten weiterhin inmitten ihrer Besitztümer. Weite Teile der Stadt sind dadurch zu einer makabren Nekropole geworden, umgeben von den Wohnstätten der vielen Besitzlosen. Als vor 70 Jahren der letzte Trodinar starb, ohne vorher einen Nachfolger zu benennen, blieb er im Amt - und sein designierter Erbe musste sich mit dem Titel eines Magnaten begnügen. Unter diesem Titel regiert seither die führende Optimatenfamilie, wenngleich im Schatten des mächtigen Nerenith. Angesichts der Armut der lebenden Bewohner und der »Erbmasse«, die in den versiegelten Häusern der Toten lagert, ist die Versuchung für Diebstahl groß. Und daher kennt Lyrnathas kein schlimmeres Verbrechen als Einbruch - selbst Mord verblasst dagegen, befördert diese Tat das Opfer doch nur von einem Seinszustand in den anderen. |