Die Schwimmszene
pfeil1

  Hesine, ihre Bootsführerin, schüttelte den Kopf und beantwortete damit beide Fragen. »Nein, edle Herren. Das ist ein Seitenarm, aber wir erreichen bald die Insel, die Ihr sucht. Jetzt kommen wir an ein schwieriges Wegstück: Es gibt hier schlammige Untiefen, in denen man sich leicht verfangen kann. Blickt bitte zur Rechten aufs Wasser ...«
  »Wir sollten womöglich vor diesen Untiefen auf unsere Gefährten warten«, meinte Praiodan, beugte sich jedoch über den Bootsrand. Die anderen Bewaffneten taten es ihm nach, ohne über ihre Bewegung nachzudenken.
  »Das Wasser wirkt hier recht tief ...«, wollte Praiodan anmerken - als das Boot sich unter dem Gewicht zur Seite legte. Erschrocken zuckte er zurück, als auch schon die Fischerin Hesine aufsprang und mit ihrem vollen Gewicht auf den Bootsrand trat.
  Ein entsetzter Aufschrei von einem der Waffenknechte - dann schlug der Kahn um.
  Das Wasser war tief. Eiskalte Fluten schlugen über dem Kopf des Praiosritters zusammen, als ihn seine Waffen und das Kettenhemd hinabzogen. Verzweifelt trat er Wasser, doch spürte er keinen Grund unter den Füßen. Und das Wasser war kalt. Es biss durch seine Untergewänder und lähmte seine Bewegungen - kurz zuvor hatten sie an einigen schattigen Teichen Eis treiben sehen.
  Endlich kam Praiodan wieder an die Oberfläche. Er fühlte sich müde, die Arme schwer wie nach einem Schwertkampf, doch irgendwie blieb er in Bewegung.
  Er sog Luft in seine Lungen und blickte um sich - neben ihm trieb das Boot kieloben und seine Begleiter kämpften gleichfalls im eisigen Wasser um ihr Überleben. In den Rüstungen konnten sich die Leute kaum an der Oberfläche halten, während die leichter bekleidete Fischerin mit kraftvollen Schwimmbewegungen auf das Ufer zuhielt, wo sie an Land ging und das Schauspiel beobachtete.
  Die Kämpfer griffen nach dem Bootsrumpf, die Planken waren allerdings feucht und glitschig und boten keinen Halt. Immer wieder glitten die klammen Finger von der Wölbung des Kiels ab, immer wieder rutschten die Krieger ins Wasser, wo sie sich nur mühsam an der Oberfläche halten konnten.
  »Verrat!«, keuchte der Knappe empört und verschwendete seinen Atem. Er gurgelte und spuckte Wasser, tauchte unter und kam keuchend und hustend zurück an die Oberfläche.
  Praiodan blickte auf Hesine, die sich am Buschwerk festhielt. Das Ufer lag so nahe, doch mit ihrem Gewicht würden die Kämpfer es niemals erreichen.
  »Taucht unter das Boot!«, keuchte der Bannstrahler. Er stieß etwas höher aus dem Wasser und klammerte sich verzweifelt lange genug an das Holz, um einige Anweisungen geben zu können.
  »Unter dem Rumpf ist genug Atemluft für einige Augenblicke. Die Ruderbänke, dort findet ihr Halt. Du, lenke das Boot von außen zum Ufer!«
  Er nickte dem Kämpfer zu, der am leichtesten bekleidet war, und winkte ihn zum Heck des Bootes. Dann tauchte Praiodan unter. Als er sich emporgekämpft hatte, war es dunkel um ihn - er stieß gegen einen anderen Körper, jemand klammerte sich in seinen Überwurf und zog ihn hinab.
  Praiodans Hände schlugen empor, tasteten über Holz und fanden endlich einen sicheren Griff. Er hatte es geschafft. Er schlug die Arme um die Ruderbank, aber weiterhin klammerte sich ein anderer Soldat an ihn, schlug und trat panisch um sich.
  »Greif nach oben«, schrie Praiodan.
  Der andere zerrte an ihm und hörte nichts. Das Holz drückte in die Armmuskeln des Ritters und er konnte sich kaum halten.
  »Was sollen wir tun?«, fragte eine weitere Stimme - also hatten seine Begleiter den Befehl gehört und waren gleichfalls unter das Boot getaucht. Sie mussten sich beeilen, denn Praiodan wusste nicht, wie lange sie unter dem Kiel atmen konnten. Hoffentlich fand der zurückgebliebene Soldat draußen am Heckruder Halt, denn hier drinnen konnten sie nichts sehen und würden bis zum Ertrinken herumtreiben.
  »Greif nach oben!«, stöhnte der Ritter und endlich verstand der Soldat. Oder es war Zufall: Der panische Griff verstärkte sich, wanderte nach oben und fand endlich einen eigenständigen Halt. Allmählich sahen die vier in dem Boot auch mehr, denn etwas Dämmerlicht fand seinen Weg durch das trübe Wasser.
  »Schaut nach vorne«, meinte Praiodan atemlos. »Und dann tretet Wasser. So kommen wir voran - das Ufer ist nicht weit, wenn das Boot in die richtige Richtung geht.«
  Sie traten und nach wenigen Atemzügen kam Praiodan der Weg endlos vor. Es schien wieder dunkler zu werden und der Ritter spürte das Holz unter seinen Armen nicht mehr. Der Weg konnte gar nicht so weit sein. Der fünfte Soldat draußen hatte es nicht geschafft und mit all ihren Mühen würden sie nicht ans Ufer kommen. Es war einfacher, loszulassen ...
  Da traten seine Stiefel in morastigen Grund.
  Er tat einige Schritte aufwärts, dann hing das Boot fest und rührte sich nicht mehr. Rasch tauchte Praiodan unter der Reling hindurch, stieß an die Wasseroberfläche und atmete erleichtert frische Luft.
  Ringsum kamen die anderen an empor, standen bis zur Brust im eisigen Wasser. Aber sie waren am Ufer, die Dornenranken zum Greifen nahe. Sie hatten es geschafft, doch Kälte und Erschöpfung erstickten den Triumph, als die fünf Krieger langsam an Land krochen und erschöpft liegen blieben. Im Wasser hatten sie kaum Strömung gespürt, aber das gekenterte Boot trieb langsam ab.
  »Wo ist Hesine?«, erinnerte sich Praiodan plötzlich.
Der Soldat, der das Boot von außen gesteuert hatte, wusste mehr: »Sie ist geflohen, als wir näher ans Ufer kamen.«
  »Diese Verräterin wird brennen!«, knirschte ein Waffenknecht. »Sie steckte gewiss mit den Götterfrevlern unter einer Decke.«
  »Erst einmal ist es uns ganz kalt«, warf eine Soldatin schnatternd ein.
  »Wären wir ertrunken, hätte sie es als Unfall darstellen können. Jetzt kann sie bloß noch versuchen, über Land ihre Spießgesellen zu warnen«, meinte Praiodan grimmig. »Wir müssen also auf eigene Faust die Insel finden. Morgen kann es zu spät sein!«
  »Wir haben kein Boot mehr«, erinnerte sein Knappe.
  Er wies auf den Rumpf, der sich träge entfernte. Keiner der gestrandeten Kämpfer hatte Lust, danach zu schwimmen.
  »Wir warten auf unsere Gefährten«, befand Praiodan nach einer kurzen Denkpause. »Sie werden nach uns suchen. Dann bergen wir den Kahn und werden jede ver..., mh, Insel in diesem Sumpf aufsuchen, so lange Praios Auge über uns wacht!«

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